Schwarz-Weiß-Malerei und die knappe Schlagzeile sind ihre Sache nicht. Annette Kurschus wägt ab, setzt ihre Worte mit Bedacht. Aber wer sie danach fragt, was sie antreibt, der bekommt eine energische wie klare Antwort. „Ich liebe meine Kirche“, sagt die Theologin, die seit November 2021 als Ratsvorsitzende an der Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) steht. Am 14. Februar wird sie 60 Jahre alt.
Werben für den christlichen Glauben und die kirchliche Gemeinschaft, das ist Kurschus’ Stärke. Als Predigerin weiß sie mit klugen und wärmenden Worten zu überzeugen. Gepaart mit Beharrlichkeit und Fleiß hat ihr das die Karriere in „ihrer Kirche“ geebnet.
Geboren im hessischen Rotenburg an der Fulda und aufgewachsen in einem Pastorenhaushalt studierte Annette Kurschus erst drei Semester Medizin, bevor die kleine Frau mit den hellblauen Augen zur evangelischen Theologie wechselte. Nach Studienjahren in Bonn, Marburg, Münster und Wuppertal folgten Vikariat und 1993 die erste Pfarrstelle in Siegen. 2001 stieg sie zur Stellvertreterin des Superintendenten auf, bevor die kinderlose Kurschus, die nicht verheiratet ist, 2005 selbst Siegener Superintendentin wurde.
Annette Kurschus: Sie will mehr geistlich-theologisch Wirken
Westfalen gewählt, führt seitdem als leitende Geistliche die mit rund zwei Millionen Mitgliedern viertgrößte der 20 evangelischen Landeskirchen in Deutschland. In diesem Amt trat die Theologin erstmals bundesweit ins Rampenlicht, als sie im April 2015 im Kölner Dom predigte. Im Trauergottesdienst für die Opfer des Absturzes eines Germanwings-Flugzeuges, bei dem 150 Menschen starben, fand sie viel beachtete, tröstende und Hoffnung stiftende Worte.
Ein halbes Jahr später wurde Kurschus zur stellvertretenden Ratsvorsitzenden der EKD, sechs Jahre später als Nachfolgerin von Heinrich Bedford-Strohm schließlich zur obersten Repräsentantin der 19,7 Millionen Protestanten in Deutschland gewählt. Schon in der Wahlsynode machte sie klar, dass sie stärker geistlich-theologisch wirken will als ihr Vorgänger.
Während Bedford-Strohm, in dessen Amtszeit das international beachtete 500. Reformationsjubiläum fiel, vor allem mit seinem Eintreten für die Aufnahme von Flüchtlingen und die Seenotrettung auf dem Mittelmeer bundesweit bekannt wurde, ist Kurschus außerhalb der evangelischen Kirche bislang kaum in Erscheinung getreten. Die Konzentration auf den Kern der christlichen Botschaft und ihre beharrliche Weigerung zu vereinfachen, stehen der medialen Aufmerksamkeit entgegen.
EKD-Ratsvorsitzende Kurschus: Umfeld bezeichnen sie als konfliktscheu
„Mich beschäftigt, wie wir bekannter und attraktiver machen können, was wir zu sagen haben“, räumt Kurschus ein, die Chorgesang und Cellospiel zu ihren Hobbys zählt. Möglicherweise sei es „der kritische Blick auf die Institution, der Menschen davon abhält, offen für die Inhalte zu sein“.
Was innerkirchlich meist als gut protestantisches Abwägen geschätzt wird, wertet ihr nahes Umfeld bisweilen auch als Scheu vor Konflikten. So wird Kurschus zwar nicht müde, Waffenlieferungen in die Ukraine zum Schutz der Angegriffenen als notwendig darzustellen und sich dabei gegen den Protest rund um den EKD-Friedensbeauftragten Friedrich Kramer zu stellen. Zugleich bleibt aber eine Positionierung der EKD unklar, wenn deren oberste Repräsentantin die Vielstimmigkeit unter den Protestanten als Wesensmerkmal lobt. Auch bei den ethisch strittigen Themen Sterbehilfe und Abtreibung vermeiden die EKD als Dachorganisation der 20 Landeskirchen und Kurschus als Person bislang klare Festlegungen.
Aber trotz der anhaltenden Mitgliederverluste, dem Relevanzverlust des Christlichen in der Gesellschaft und so schwierigen Themen wie der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in evangelischer Kirche und Diakonie, strahlt Kurschus aus, sich am richtigen Platz zu wissen. 60 Jahre seien „zwar ein bisschen Seniorenalter“. Doch: „Ich bin jetzt eigentlich mittendrin und freue mich auf die Aufgaben, die vor mir liegen.“