In Deutschland ist Leihmutterschaft bisher verboten, wird aber umgangen, indem Paare mit Kinderwunsch Leihmütter im Ausland beauftragen. Vor 40 Jahren wurde die Britin Kim Cotton die erste Leihmutter weltweit.
Das Kind feiert am 4. Januar seinen 40. Geburtstag. Wie es heißt, wo es wohnt, wie es jetzt aussieht – das alles weiß Kim Cotton nicht. Sie hat keinen Kontakt zu dem Mädchen, das sie 1985 als erste Leihmutter weltweit zur Welt brachte und auch nicht zu seinen Eltern. Sie bekam 6.500 Pfund, umgerechnet rund 25.000 D-Mark, und ein schwedisches Paar das Kind, das es über eine Agentur in den USA in Auftrag gegeben hatte. Es war gesund, 48 cm lang und rund sieben Pfund schwer.
Die damals 28-jährige Cotton, bereits zweifache Mutter und verheiratet, hatte das Baby ausgetragen. Es erschien ihr eine gute Möglichkeit, für ihre junge Familie und das renovierungsbedürftige Haus, in dem sie wohnten, auf einfache Art Geld zu verdienen, wie sie später erzählte. Dafür wurde sie in einer Arztpraxis mit dem Sperma des auftraggebenden Mannes künstlich befruchtet, war also auch die genetische Leihmutter des Kindes. Heute ist sie 68 Jahre alt.
Bereut hat sie diese Entscheidung nach eigener Aussage nicht, obwohl die Erfahrung traumatisch gewesen sei. “Ich sagte mir selbst während der ganzen Schwangerschaft immer wieder, ‘es ist nicht mein Baby, es ist nicht mein Baby'”, sagte Cotton in einem Interview mit der BBC im Jahr 2017, mehr als 30 Jahre nach der Geburt von Baby Cotton. Sie müsse immer noch an es denken. In solchen Momenten schließe sie “diese Tür dann, weil es weh tut”, so Kim Cotton. “Es sah aus wie eins von meinen.”
Ihre Leihmutterschaft führte dazu, dass das britische Parlament sich mit der Thematik beschäftigte – und die kommerzielle Leihmutterschaft verbot. So ist es bis heute geblieben. Seit 2008 allerdings ist im Vereinigten Königreich die altruistische Leihmutterschaft erlaubt – dabei trägt die Leihmutter das Kind ohne Bezahlung aus.
Auch der Deutsche Bundestag befasste sich als Reaktion auf “Baby Cotton” mit dem Thema: Ende der 1980er Jahre debattierte er über rechtliche, ethische und gesellschaftliche Aspekte zur Leihmutterschaft und erließ 1990 das Embryonenschutzgesetz, das die Leihmutterschaft bis heute verbietet. Die Ampel-Koalition wollte jüngst eine liberalere Regelung und setzte eine Kommission ein, die die Möglichkeiten überdenken sollte. Nach dem Scheitern der Ampel-Regierung ist eine neue gesetzliche Regelung aber erst einmal auf Eis gelegt.
Was nicht heißt, dass es in Deutschland keine Kinder gibt, die per Leihmutterschaft ausgetragen wurden: Die geltenden Verbote werden in Nachbarländern umgangen. Leihmütter werden über kommerzielle Agenturen etwa aus der Ukraine, Kalifornien oder vom Balkan vermittelt. Geschätzt wird, dass hierzulande zwischen 50 und 100 Paare jährlich auf eine Leihmutterschaft zurückgreifen.
All-inclusive-Pakete für Kunden aus dem Ausland (medizinische und rechtliche Bearbeitung und Gehalt der Leihmutter) wurden etwa in der Ukraine vor dem Krieg für 30.000 bis 40.000 Euro angeboten, während gleichartige Programme in den Vereinigten Staaten bei 100.000 Euro beginnen, heißt es in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung. Ukrainische Leihmütter erhielten demnach rund 10.000 Euro pro Schwangerschaft – das durchschnittliche Monatseinkommen der Frauen liegt bei 250 Euro.
Die Leihmütter in diesen Ländern seien meist prekär lebende Frauen, wie Studien zeigten, sagt Sigrid Graumann, Mitglied der Kommission, die für die Bundesregierung eine mögliche Neuregelung der Leihmutterschaft ausloten sollte. Sie äußerte mit Blick auf eine liberalere Regelung Bedenken – selbst wenn es nur um uneigennützige Leihmutterschaft gehe. Damit werde “das transnationale Fortpflanzungsgeschäft kaum eingeschränkt”, so Graumann in einem Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Zudem seien wesentliche Dinge bei einer Leihmutterschaft höchst kompliziert. “Die Frau ist über neun Monate körperlich vollständig involviert. Wenn sie ‘aussteigen’ will, muss man das auch regeln. Aber wie regelt man das? Allein solche Gedankenspiele sind für mich ein Grund, Leihmutterschaft zu verbieten.”
Eine Sorge, die berechtigt erscheint: So gibt es immer wieder Fälle, bei denen die Auftraggeber das Kind nicht mehr wollen, weil es behindert ist oder es plötzlich eins mehr ist als eigentlich gewollt. Mehrlingsschwangerschaften sind bei künstlichen Befruchtungen häufig. Es kommt durchaus vor, dass die Leihmutter dann vom Auftraggeber unter Druck gesetzt wird, eines der Kinder abzutreiben – wie etwa 2016 in den USA geschehen.
Kim Cotton, die 1988 eine Organisation zur Unterstützung der Leihmutterschaft gründete, sieht diese als Möglichkeit, Eltern, die sonst keine eigenen Kinder haben könnten, zu helfen. Sie trug selbst ein weiteres Mal Zwillinge für andere Eltern aus – aber diesmal kannte sie die Eltern und hat bis heute Kontakt auch zu den Kindern, die sie “Bauch-Mama” nennen, wie sie dem britischem Boulevardblatt “Mirror” kürzlich erzählte. Zu sehen, wie jedes Elternteil ein Baby in den Arm nahm, nachdem die Kinder geboren worden waren, sei eine der besten Erfahrungen ihres Lebens gewesen, sagt sie noch heute.
Bei der Erfahrung mit “Baby Cotton” blieben dagegen gemischte Gefühle: Das Mädchen werde “im Januar 40 Jahre alt, könnte also selbst schon Mutter sein”, so Kim Cotton. Sie wisse nicht, wieviel “Baby Cotton” über seine Herkunft wisse. Sie sei aber offen dafür, es zu treffen – “wenn sie mich finden will”.