Kostenexplosion, Personalmangel, Insolvenzen: Aus Sicht der Träger von Pflegeheimen und ambulanten Pflegediensten sind auf dem Pflegemarkt in Deutschland dunkle Gewitterwolken aufgezogen. Der Druck auf die rund 16.100 Pflegeheime und die 15.400 ambulanten Dienste steigt.
Dabei dürften sich die Jahre 2020 und 2021 für die Pflegemarkt nur als eine zwischenzeitliche Erholungsphase erweisen. Nach dem in Berlin vorgestellten “Pflegeheim Rating Report 2024” hat sich die wirtschaftliche Lage der Branche in dieser Zeit verbessert – auch Dank der finanziellen Unterstützung der Politik in der Corona-Zeit. 9 Prozent der Pflegeheime lagen 2021 im “roten Bereich” mit erhöhter Insolvenzgefahr, 55 Prozent im “grünen Bereich”. 2019 waren noch rund 20 Prozent im “roten Bereich” und 38 Prozent im “grünen Bereich”. Erstellt wurde die Analyse gemeinsam vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen, dem Institut für Gesundheitswirtschaft hcb in Kooperation mit der Bank im Bistum Essen.
Zahl der Pflegebedürftigen wird weiter steigen
Fest steht: Der Pflegemarkt in Deutschland gewinnt immer stärkere Bedeutung. Nicht nur, dass die Zahl der Pflegebedürftigen und der Pflegekräfte weiter steigen. Auch wirtschaftlich werden Pflegeheime und ambulante Pflege zu einem immer wichtigeren Akteur auf dem Gesundheitsmarkt. Dabei gewinnen private Anbieter eine wachsende Bedeutung – wurden 1999 noch 25,4 Prozent der Pflegebedürftigen in einer privaten Einrichtung versorgt, waren es 2021 bereits 39,8 Prozent. Das Marktvolumen der Pflege betrug 2021 rund 72 Milliarden Euro. Der Anteil des Pflegemarkts am Gesundheitsmarkt ist zwischen 1997 und 2021 von 9,8 Prozent auf 15,2 Prozent gestiegen. Damit liegt die Pflege an zweiter Stelle hinter den Krankenhäusern.
Nicht nur der Arbeitgeberverband Pflege sieht die Altenpflege in Deutschland am Abgrund. Es gebe eine Insolvenzwelle, warnte Verbandspräsident Thomas Greiner im August. Auch Anja Sakwe Nakonji vom Beratungsunternehmen Terranus sieht einen bedrohlichen Zangeneffekt: auf der einen Seite einen steigenden Kosten- und Preisdruck durch Inflation, Personalkosten und zunehmende staatliche Vorgaben, die nicht einfach durch höhere Preise ausgeglichen werden können. Und auf der anderen Seite eine doppelte Belastung durch den demografischen Wandel, der einerseits für mehr Pflegebedürftige sorgt, auf der anderen Seite aber immer mehr Pflegepersonal in Rente bringt.
Bis 2030 wird es in Deutschland 5,7 Millionen Pflegebedürftige geben
Bei konstanten Pflegequoten wird es bis 2030 in Deutschland 5,7 Millionen Pflegebedürftige geben, bis 2040 dürften es 6,4 Millionen sein. Zusätzliche 322.000 stationäre Pflegeplätze bis 2040 wären notwendig. Die erforderlichen Investitionen belaufen sich laut Studie auf 81 bis 125 Milliarden Euro. Um die steigende Zahl an Pflegebedürftigen zu versorgen, ist zugleich mehr Personal nötig. Bis 2040 sind laut Studie insgesamt 163.000 bis 380.000 zusätzliche Vollzeitkräfte in der stationären und 97.000 bis 183.000 in der ambulanten Pflege nötig.
Die Handlungsspielräume der Anbieter seien gering, so Greiner und Sakwe Nakonji. Schon jetzt blieben immer mehr Pflegebetten wegen Personalmangels leer – für viele Heime und Pflegedienste eine bedrohliche finanzielle Schieflage.
“Pflegeheim Rating Reports”: höhere Löhne und mehr Karrieremöglichkeiten
Aus Sicht der Autoren des “Pflegeheim Rating Reports” bedarf es deshalb einer großen Anstrengung, um die Pflege zukunftsfest zu machen. Der Pflegeberuf müsse attraktiver werden – durch höhere Löhne, eine gute Führungskultur, eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wenig Bürokratie und mehr Karrieremöglichkeiten. Auch innovative digitale Technik und KI sowie eine Zuwanderung qualifizierter Pflegekräfte werden genannt.