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Dornröschenschlaf beendet: Zivilschutz wird wichtig

Deutschland ist nach Auffassung von Hilfsorganisationen schlecht auf Großkrisen und Angriffe vorbereitet. Der Zivilschutz bekommt neue Aufmerksamkeit. Baustellen gibt es viele.

Lange lag der Zivil- und Bevölkerungsschutz in Deutschland im Dornröschenschlaf. Seit dem Ende des Kalten Kriegs wurde nicht nur der Wehrdienst ausgesetzt. Bunker wurden eingemottet, Sirenen abgebaut, Schutzpläne eingemottet. Wer dazu riet, für Not- und Katastrophenzeiten Lebensmittel, Taschenlampen und Kleingeld zurückzuhalten, wurde schräg angeschaut.

Die russische Aggression in der Ukraine sowie vermehrte Angriffe auf kritische Infrastruktur und Naturkatastrophen wie im Ahrtal haben wachgerüttelt. Zeitenwende auch im Zivil- und Katastrophenschutz: Vergangene Woche hat der Bundestag ein gigantisches Schuldenpaket beschlossen, das Milliardenausgaben für Verteidigung wie auch für Zivilschutz, Nachrichtendienste und Militärhilfe vorsieht. Am Montag legten Hilfsorganisationen vom Deutschen Roten Kreuz über die DLRG bis zu den Maltesern ihre Vorschläge für eine Stärkung des Zivil- und Bevölkerungsschutzes vor.

Grundsätzlich braucht es aus Sicht der Hilfswerke eine bessere finanzielle Ausstattung: Der Anteil des Bundeshaushalts für den Bevölkerungsschutz müsse dauerhaft auf mindestens 0,5 Prozent, also etwa 2,4 Milliarden Euro angehoben werden. Aber zugleich müssten sich gesellschaftliche Strukturen ändern, heißt es in dem gemeinsamen Papier: An erster Stelle steht ein einheitliches Krisenmanagement mit standardisierten Verfahren, gemeinsamer Ausbildung und regelmäßigen Übungen.

Gefordert wird ein Nationaler Sicherheitsrat mit Sitz im Kanzleramt: Es gehe darum, bei nationalen Lagen schnell und unbürokratisch eine bundesweit agierende Stelle zu haben. Zugleich muss aus Sicht der Organisatoren das Ehrenamt gestärkt werden. Es brauche bundeseinheitliche Regelungen zur Freistellung, sozialen Absicherung und finanziellen Entschädigung ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer.

Bereits seit Monaten ist die Debatte über die Rückkehr zur Wehrpflicht neu aufgekommen. Der langjährige Präsident des Technischen Hilfswerks (THW), Albrecht Broemme, hatte kürzlich eine allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen gefordert. Es müssten “neue Organisationsformen” geschaffen werden – neben Bundeswehr, dem Roten Kreuz und THW.

DLRG-Präsidentin Ute Vogt spricht sich dagegen zunächst für eine Stärkung des Bundesfreiwilligendienstes und eine bessere Koordination des Ehrenamts aus. “Wir kämpfen beim Bundesfreiwilligendienst um jede Stelle und jeden Euro”, so Vogt mit Blick auf eine allgemeine Dienstpflicht. Es sei daher wichtig, erst einmal die etablierten Programme besser und nachhaltiger zu fördern, bevor ein weitere Schritt überdacht werden sollte.

Etwas anders will sich die Caritas dem Thema nähern: Präsidentin Eva Welskop-Deffaa hat vorgeschlagen, für alle jungen Menschen eine verbindliche Beratung zu Wehr- oder Freiwilligendienst einzuführen. Damit könne man schnell sowohl die Zahl der Wehrdienstleistenden erhöhen als auch die Zahl der jungen Menschen, die sich in Freiwilligendiensten oder im Zivil- und Katastrophenschutz engagieren.

Auch das Gesundheitssystem ist gefragt: In Köln beispielsweise wird eine unterirdische Intensivstation zur Versorgung der Bevölkerung im Katastrophenfall geplant. Vorgesehen sei, “ein Krisenzentrum nach israelischem Vorbild zu etablieren”, teilten die städtischen Kliniken kürzlich mit. Es werde einen Tiefgaragenbereich geben, “der bei einem Massenanfall von Verletzten als Intensivstation genutzt werden kann”.

Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) fordert ein bundesweites Programm zur Vorbereitung der medizinischen Versorgung auf einen Kriegsfall. Es gehe darum, das Gesundheitssystem auf alle Arten von Krisen vorzubereiten: “Denn eine intakte Gesundheitsversorgung ist für die Verteidigung eines Landes ebenso wichtig wie die Bundeswehr.”

In Bayern habe sie bereits die Kliniken gebeten, Auskunft über den Stand ihrer Alarm- und Einsatzplanung für den Ernstfall zu geben, berichtete die Ministerin. Hilfsorganisationen seien zudem dabei, Pflegeunterstützungskräfte für den Ernstfall auszubilden.

Glaubt man einer im Februar veröffentlichten Umfrage im Auftrag der Malteser, sehen sich auch die Bürger schlecht auf mögliche Krisen vorbereitet. Nur knapp ein Drittel hält sich für eher gut gewappnet. Konkret hat ein Viertel der Befragten Vorräte an Lebensmitteln und Medikamenten für den Ernstfall angelegt, 17 Prozent haben sich mit Batteriegeräten oder Notstromaggregaten auf einen Blackout vorbereitet.

Ex-THW-Chef Broemme fordert deshalb Bund und Länder auf, die Bevölkerung zum Anlegen von Vorräten für Krisenfälle und Großstörungen wie Stromausfälle aufzurufen. Es handele sich nicht um Kriegstreiberei, sondern um Widerstandsfähigkeit.