Deutschland ist nach Auffassung von Hilfsorganisationen schlecht auf Großkrisen und Angriffe vorbereitet. Der Zivilschutz bekommt neue Aufmerksamkeit. Baustellen gibt es viele.
Lange lag der Zivil- und Bevölkerungsschutz in Deutschland im Dornröschenschlaf. Seit dem Ende des Kalten Kriegs wurde nicht nur der Wehrdienst ausgesetzt. Bunker wurden eingemottet, Sirenen abgebaut, Schutzpläne eingemottet. Wer dazu riet, für Not- und Katastrophenzeiten Lebensmittel, Taschenlampen und Kleingeld zurückzuhalten, wurde schräg angeschaut.
Die russische Aggression in der Ukraine sowie vermehrte Angriffe auf kritische Infrastruktur und Naturkatastrophen haben wachgerüttelt. Zeitenwende auch im Zivil- und Katastrophenschutz: Am Dienstag hat der Bundestag ein gigantisches Schuldenpaket beschlossen, das Milliardenausgaben für Verteidigung wie auch für Zivilschutz, Nachrichtendienste und Militärhilfe vorsieht.
In welche Bereiche das Geld investiert wird, steht noch nicht fest. Doch Hilfsorganisationen liefern bereits seit Monaten Vorschläge, wie Deutschland widerstandsfähiger gegenüber Krieg, Naturkatastrophen, Cyberangriffen und Attacken auf kritische Infrastruktur werden könnte. Gefordert wird eine engere Verbindung von Zivil-, Katastrophen- und militärischem Schutz.
“Wir müssen in allen Bereichen widerstandsfähiger werden”, sagt der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Ralph Tiesler. Dazu gehöre auch, die Bevölkerung stärker für Gefahren zu sensibilisieren und zu zeigen, wie jeder in Notfällen Freunden oder Nachbarn helfen könne. Dagegen warnt die Linke vor einer Militarisierung des zivilen Katastrophenschutzes.
Derzeit erarbeiten Bund und Länder ein nationales Schutzraumkonzept. Öffentliche Gebäude und private Immobilien, die als Zufluchtsorte genutzt werden können, sollen systematisch erfasst werden. Der Fokus liegt auf dem Selbstschutz: Bürger sollen eigene Keller für den Ernstfall ausrüsten. Derzeit stehen laut Bundesamt für Bevölkerungsschutz von ursprünglich 2.000 nur noch 579 Schutzräume mit rund 478.000 Plätzen formal zur Verfügung. Sie seien jedoch weder funktions- noch einsatzbereit.
Der langjährige Präsident des Technischen Hilfswerks (THW), Albrecht Broemme, fordert eine allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen. Es müssten “neue Organisationsformen” geschaffen werden – neben Bundeswehr, dem Roten Kreuz und THW, sagte Broemme dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Eine solche Dienstpflicht könnte auch “die Kluft verringern zwischen dem Staat als abstraktem, feindlichen Gebilde und den Menschen”.
Etwas anders will sich die Caritas dem Thema nähern: Präsidentin Eva Welskop-Deffaa schlägt für alle jungen Menschen eine verbindliche Beratung zu Wehr- oder Freiwilligendienst vor. Damit könne man schnell und einfach sowohl die Zahl der Wehrdienstleistenden erhöhen als auch die Zahl der jungen Menschen, die sich in Freiwilligendiensten oder im Zivil- und Katastrophenschutz engagieren.
Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) forderte unterdessen ein bundesweites Programm zur Vorbereitung der medizinischen Versorgung auf einen Kriegsfall. Es gehe darum, das Gesundheitssystem auf alle Arten von Krisen vorzubereiten: “Denn eine intakte Gesundheitsversorgung ist für die Verteidigung eines Landes ebenso wichtig wie die Bundeswehr.” Auch müssten Deutschland und Europa wieder stärker zum Produktionsstandort für die Pharmaindustrie werden, um die Versorgung mit Arzneimitteln zu sichern.
In Bayern habe sie bereits die Kliniken gebeten, Auskunft über den Stand ihrer Alarm- und Einsatzplanung für den Ernstfall zu geben, berichtete die Ministerin. Hilfsorganisationen seien zudem dabei, Pflegeunterstützungskräfte für den Ernstfall auszubilden.
Der Generalsekretär des Roten Kreuzes, Christian Reuter, sagte der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung”, kurzfristig seien 20 Milliarden Euro für den Bevölkerungsschutz nötig. Ein konkretes Manko ist laut Reuter die fehlende Infrastruktur für die Unterbringung von bis zu 1,7 Millionen Menschen, die im Falle eines Notstands schnell evakuiert oder versorgt werden müssten. Auch das Personal im Katastrophenschutz sei nicht ausreichend geschult, und die Notfallkapazitäten in Kliniken sowie die Versorgung mit Antibiotika reichten nicht aus.
Glaubt man einer im Februar veröffentlichten Umfrage im Auftrag der Malteser, sehen sich auch die Bürger schlecht auf mögliche Krisen vorbereitet. Nur knapp ein Drittel hält sich für eher gut gewappnet, über die Hälfte aber eher unzureichend. Konkret hat demnach bereits ein Viertel der Befragten Vorräte an Lebensmitteln und Medikamenten für den Ernstfall angelegt, 17 Prozent haben sich mit Batteriegeräten oder Notstromaggregaten auf einen Blackout vorbereitet, und gut jeder Zehnte hat einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert.