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„Die Tür zur Kindheit ist nie zugefallen“

Über Jahrzehnte prägte Gina Ruck-Pauquet die deutsche Kinder- und Jugendbuchliteratur. Inzwischen richtet sie sich ebenso an eine erwachsene Leserschaft. Auch mit jetzt 85 Jahren hat sie noch viel zu erzählen

Ihr Name sagt nicht jedem etwas. Dennoch kennen viele die Texte von Gina Ruck-Pauquet. Irgendwann haben sie im Fernsehen ihre Sandmännchen-Geschichten gesehen, Bilderbücher und Kindererzählungen vorgelesen bekommen oder später selber gelesen. Mehr als 170 Bücher hat sie im Laufe von rund 50 Jahren veröffentlicht; dazu kommen zahllose Gedichte, Liedtexte, Rundfunkbeiträge und Theaterstücke. Über Jahrzehnte war Gina Ruck-Pauquet ein nicht wegzudenkender Faktor der deutschen Kinder- und Jugendliteratur. Am 17. Oktober feierte sie ihren 85. Geburtstag.
Die Lust auf Neues, unermüdliche Schaffenskraft, Intuition und eine rege Phantasie kennzeichnen ihr Leben und Schreiben. „Mir fällt viel ein“, meinte sie im Gespräch. Bis heute liegen überall Zettel in der Wohnung, auf denen sie Ideen notiert. Bereits als Kind unternahm sie erste Schreibversuche, führte Tagebuch, schrieb kleine Geschichten und verkaufte mit 18 Jahren die erste Erzählung an eine Zeitung. Ihre Kindheit und Jugend hatte sie zu dieser Zeit längst hinter sich gelassen, dafür hatte auch der Krieg gesorgt. Die Familie war in Köln ausgebombt und wurde in den Westerwald evakuiert. Da verlief gegen Kriegsende aber die Front, Gina war dem Sterben ein gutes Stück nähergerückt.

Jahre des Suchens und Ausprobierens

Dennoch bewahrt sich Gina Ruck-Pauquet sehr bewusst die Erinnerungen an ihre Kindheit, an Stimmungen und Gefühle. Aus ihnen nahm sie die Ideen zu ihren Kinderbüchern: „Mir war die Tür zur Kindheit nie zugefallen“, sagt sie. Die begann in Köln, hier wurde sie als Gina Pauquet am 17. Oktober 1931 geboren. Ihr Vater war Zahnarzt, die Lebensverhältnisse der kleinen Familie gutbürgerlich. Trotzdem findet sie ihre Kindheit und Jugend bis heute schlicht „grausig“.
Überschattet war sie durch Nationalsozialismus und Krieg. Gina war ein waches Kind, das die politische Situation zwar nicht verstand, die bedrohliche Atmosphäre aber wahrnahm. Auch die Judenverfolgungen blieben ihr nicht verborgen. „Ich fand das immer komisch, wenn Leute sagten, sie hätten nichts von den Konzentrationslagern gewusst. Ich habe das schon als Kind gewusst.“ Auch das Verhältnis zu den Eltern war nicht einfach, „aber es hielt bis zuletzt“.
Gemeinsam mit ihrem Ehemann und den Eltern siedelte die junge Schriftstellern Ende der 1950er Jahre nach Bad Tölz um. Die Jahre davor waren bewegt: Noch vor der Mittleren Reife verließ Gina Pauquet das Gymnasium und wurde zahnärztliche Assistentin. Jahre des Suchens und Ausprobierens folgten. Sie arbeitete als Reporterin und in einem Modesalon, besuchte eine Werkschule und versuchte sich als Model. Ein altes Foto zeigt eine lässig gekleidete, schöne junge Frau.
In ihren Geschichten thematisiert sie die zahllosen Probleme, mit denen sich auch schon kleine Kinder plagen. So ist der Murmelbär aus dem gleichnamigen Bilderbuch ein gutmütiger Geselle, der immer tut, was die anderen Tiere ihm sagen. Eigentlich würde er viel lieber Geige spielen und träumen, stattdessen rackert er sich für die anderen ab. Erst als es ihm reicht und er zur Geige greift, erfährt der Bär wahre Freundschaft. Helfen ist ja gut und schön, aber man darf seine eigenen Bedürfnisse darüber nicht vernachlässigen, das ist die unaufdringlich transportierte Botschaft.

Kindergottesdienst-Hit „Das Vier-Farben-Land“

Zum Klassiker wurde auch „Das Vier-Farben-Land“, das in Kindergottesdiensten immer dann eingesetzt wird, wenn Toleranz und die Freude am Multikulturellen thematisiert werden. Ihren ersten großen Erfolg hatte Ruck-Pauquet 1963 aber mit einem Jugendroman. „Joschko“ ist eine vielfach ausgezeichnete Variante des Parzival-Themas. Bis heute sind ihre Erzählungen Schullektüre.
Was so leichtfüßig daherkommt, ist auch theoretisch grundiert. Obwohl sie bereits eine erfolgreiche Schriftstellerin war, begann Ruck-Pauquet noch einmal Psychologie zu studieren und eröffnete anschließend in München eine Praxis, in der sie vor allem psychoanalytisch arbeitet. Der Abstand zur Schulzeit war inzwischen wohl groß genug.
An die hat sie keine guten Erinnerungen. Sie habe sich eingesperrt gefühlt, musste viel Überflüssiges lernen, erfuhr aber wenig über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens. Dazu kamen viele Schulwechsel und lange Unterrichtszeiten im Luftschutzkeller.
Seit ihrer Heirat führt die Autorin den Doppelnamen Ruck-Pauquet. Die kinderlose Ehe wurde nach zwölf Jahren geschieden, seit vielen Jahren ist sie in zweiter Ehe verheiratet. Ihrer oberbayerischen Wahlheimat ist sie treu geblieben, genau wie der Literatur. Sie schreibt auch weiterhin, allerdings für Erwachsene, arbeitet an ihrer Autobiographie und fährt immer noch regelmäßig nach München, um in ihrer Praxis Patienten zu betreuen. Mit der Kinderliteratur hat sie bereits im Jahr 2000 abgeschlossen – aber auch das nicht so ganz. Im nächsten Jahr erscheint jedenfalls eine neue „Murmelbär“-Geschichte.