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Die Sechsäugige unter den Achtäugigen

Sie ist ein knallharter Jäger, auch wenn sich ihr Name nach gemütlichem Fischen anhört: Die Gewöhnliche Fischernetzspinne (Segestria senoculata) trägt 2025 den Titel „Spinne des Jahres“, ausgewählt von der Arachnologischen Gesellschaft. Gefährdet ist diese Spinnenart nicht – sie findet sich vielerorts auch in Baden-Württemberg.

Wobei sie dennoch selten zu sehen ist. Denn ihre Jagdzeit beginnt erst in der Abenddämmerung. Tagsüber bleibt sie in Ritzen und Spalten versteckt. In der Nacht harrt sie auf Beute.

Als Jägerin spinnt sie Signalfäden in ungewöhnlich hellem Weiß. Dann lauert sie und hat immer Beine an den Fäden, um zu spüren, wenn ein potenzielles Opfer vorbeikommt. Streift ein kleines Insekt – etwa eine Assel oder eine Ameise – den Faden, schießt die Spinne heraus und beißt ihre Beute zu Tode. Auch das ist ungewöhnlich: Während die meisten Spinnen ihre Beine austariert haben – zwei Paare nach vorne, zwei nach hinten -, sind bei der Fischernetzspinne gleich drei Paare nach vorne ausgerichtet. Fürs Jagen scheint diese Verteilung günstiger zu sein.

Hubert Höfer vom Staatlichen Museum für Naturkunde in Karlsruhe findet die Spinne des Jahres „durchaus hübsch“. Er ist dem Tier oft begegnet und hat es auch mehrfach fotografiert. Sie ist sieben bis zehn Millimeter lang, das Weibchen etwas größer als das Männchen. Damit ist sie kleiner als ihre mitteleuropäischen Verwandten, die Bayerische Fischernetzspinne (bis zu 14 Millimeter) und die Mächtige Fischernetzspinne (bis zu 22 Millimeter). Ihre Farbe erinnert an Bernstein, der Körper weist schwarze Flecken auf. An den langen Beinen finden sich dunkle Ringe.

Von 52.000 Spinnenarten weltweit haben laut Höfer über 90 Prozent acht Augen. Dass die Fischernetzspinne mit nur sechs Augen zurechtkommt, führt der Experte auf ihr Leben in der Dunkelheit zurück. Hier sei sie ohnehin stärker auf andere Sinnesorgane angewiesen, deshalb sei es in der Evolution zu einer Reduktion der Augenzahl gekommen. Angeordnet sind die sechs Augen symmetrisch in zwei Dreiecken.

Für die Paarung müssen sich die Männer auf den Weg machen, weil die Spinnenfrauen ihr Netz in der Regel nicht mehr verlassen, wenn es erstmal gebaut ist. Nach dem Spinnensex legt das Weibchen einen Kokon mit bis zu 180 Eiern an. Bis der geschlüpfte Nachwuchs dann erwachsen ist, dauert es zwei Jahre. Aber schon vorher legen die Kleinen ihre eigenen Fangnetze an. Diese röhrenförmigen Fangnetze erinnern an Fischreusen – vermutlich ist die „Spinne des Jahres“ dadurch an ihren Namen gekommen.

Im Karlsruher Naturkundemuseum sind keine lebenden Fischernetzspinnen zu sehen. Sie seien in einem Terrarium ohnehin schwer zu zeigen, sagt Höfer. Je besser der Nachbau der natürlichen Lebensverhältnisse, desto mehr Verstecke könne das Tier nutzen. In der Sammlung des Museums gibt es aber rund 50 in Alkohol konservierte Exemplare. (0577/14.03.2025)