Eine Nacht könnte alles ändern. Die wenigen Stunden von Silvester auf Neujahr haben ausgereicht, das Land in einen Strudel aus Ohnmacht und Wut, Hektik und Ratlosigkeit zu stürzen.
Mehr als 1000 junge Männer sollen es gewesen sein, mutmaßlich aus nordafrikanischen und arabischen Ländern, die in Köln, Hamburg und anderen Städten bei den öffentlichen Jahreswechselfeiern in Gruppen organisiert Frauen sexuell belästigt haben. Die schiere Ungeheuerlichkeit dieses Vorwurfs hätte ausreichen sollen, alles daran zu setzen, um zu klären, was an dem Verdacht wahr ist.
Stattdessen: Überall im ganzen Land wurden sofort Urteile gefällt. „Ausländer! Flüchtlinge! Seht ihr, das haben wir doch immer gesagt“, war genauso zu hören, wie die fast schon reflexartige Beteuerung: „Das können auf gar keinen Fall Flüchtlinge gewesen sein.“
Bevor überhaupt klar sein konnte, was passiert war und in welchem Ausmaß, stritten die Menschen schon, schimpften, tobten. Sie taten damit nichts anderes, als ihre ohnehin schon fertigen Vorurteile zu bekräftigen: Entweder musste es „der Ausländer“ gewesen sein, weil er ja sowieso gefährlich ist und nicht nach Deutschland gehört. Oder er konnte, er durfte es nicht gewesen sein; weil alles andere Rassismus bedeuten würde und „den Rechten“ ja Recht geben würde.
Eine Frage des Weltbildes also: Die Wahrheit wird der eigenen Überzeugung und Weltanschauung angepasst. Man nennt das „Ideologie“.
Aber dann passierte etwas Ungewöhnliches. Zugezogene, Eingewanderte, Migranten meldeten sich zu Wort. Türken der sogenannten dritten Generation. Im Internet. In den sozialen Medien. Auf Facebook liest Serge Nathan Dash Menga, geboren im Kongo, den mutmaßlichen Tätern aus der Silvesternacht die Leviten. Tenor bei allen: Ihr da, die ihr die Frauen angreift – wenn euch die Regeln, die hier in Deutschland gelten, nicht gefallen, dann verschwindet doch bitte aus diesem Land.
Selbst bei hartgesottenen Rechtskonservativen sorgt das für Aufsehen. Denn es sprengt Vorurteile: Es sind Migranten, die da ein Bekenntnis zu Deutschland und seinen Werten und Regeln ablegen. Keine Volksdeutschen oder Neu-Arier. Das zeigt zweierlei: 1. Es sind nicht „die Ausländer“, die die hier geltenden Regeln ablehnen. Auf dem Domplatz in Köln mögen es 1000 gewesen sein. Aber mehr, sehr viel mehr verurteilen diese Taten. 2. Man kann sich zu Deutschland als Wertegemeinschaft bekennen, ohne automatisch als Neonazi verdächtigt werden zu müssen.
Eigentlich sollte es klar sein: Wer gegen grundlegende Regeln der Gemeinschaft verstößt, stellt sich ins Abseits. Das gilt genauso für einen jungen Mann aus Nordafrika oder Syrien wie für jemanden aus Dresden oder Castrop-Rauxel. Ihm droht Strafe. Hier, an dieser Stelle zukünftig klar und konsequent, gegebenenfalls eventuell auch mit Abschiebung und mit weniger Ideologie ans Werk