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Die evangelischen Nonnen

In Wittenberg löste Luther die Reformationsbewegung aus – der Grundstein der evangelischen Kirche. Heute sorgen dort vier evangelische Schwestern für den innerchristlichen Dialog

Christina Oezlem Geisler

Wenn sie in Tracht aus dem Haus gehen, dauert es oft nicht lange, bis sie jemand anspricht. Seit sie sich vor neun Jahren in Wittenberg niedergelassen haben, sind die Schwestern stadtbekannt. Wenn auch die Lutherstadt im 21. Jahrhundert nicht besonders christlich sozialisiert ist, verbinden die Menschen offensichtlich etwas mit den Frauen im langen grauen Gewand. Viele Menschen suchen den Kontakt und vertrauen ihnen ihre Sorgen an.
Hanna-Maria, Elisabeth, Christine und Isolde sind Ordensschwestern einer evangelischen Lebensgemeinschaft, der Communität Christusbruderschaft. Sie leben nach den sogenannten evangelischen Räten: in Armut, einem einfachen Lebensstil folgend, in Ehelosigkeit, und in Gehorsam Gott und der Communität gegenüber. Ihre Herzensanliegen und ihr Sendungsauftrag sind das regelmäßige Gebet in der Fronleichnamskapelle, die Begegnung mit Wittenbergern und der ökumenische Austausch mit anderen.
„Das Reformationsjubiläum bedeutet für uns auch zu feiern, dass wir 500 Jahre weiter sind und als Christen aufeinander zuwachsen“, sagt die 56-jährige Schwester Hanna-Maria. Diese Botschaft findet sich auch auf der Rückseite des Kreuzes wieder, das alle Mitglieder der Christusbruderschaft an einer Kette tragen: „Wisst, ihr seid eins!“, steht darauf. Natürlich unterscheide sie manches von anderen Orden, etwa von den katholischen, sagen sie, „aber Unterscheidung ist wichtig fürs Profil und bedeutet nicht gleich Trennung“.
Das Pfarrer-Ehepaar Hanna und Walter Hümmer hat nach einem spirituellen Erlebnis am Karfreitag 1948 im Folgejahr die Communität Christusbruderschaft ins Leben gerufen. Seit den 50er Jahren liegt deren Zentrum im oberfränkischen Selbitz, rund 15 Kilometer von Hof entfernt. Von dort aus schwärmen die Schwestern und Brüder aus, um für Menschen in verschiedenen Städten und Lebenslagen da zu sein: als Gemeinschaft der Andacht und Meditation, als Ort der geistlichen Begleitung und Haus der Tagung oder im diakonischen Dienst.
„Wer mit sich versöhnt ist, kann auch anderen bei der Bewältigung ihrer Probleme helfen“, sagt Schwester Elisabeth. „Auch wir haben in unserer Ordensgeschichte Brüche erlebt, aber wir haben sie aufgearbeitet und sind gestärkt aus der Krise hervorgegangen.“
Vor 57 Jahren, als Schwester Isolde mit 27 in die Communität eintrat, fand sie so etwas wie eine Familie, sagt sie. Nach dem Tod der Gründer kam dann die Ernüchterung. „Wir mussten uns neu definieren und klar werden, was und wie wir leben wollen“, erinnert sie sich. Viele seien in dieser Zeit gegangen. Mit diesen schweren Erfahrungen im Gepäck können sie heute viel besser nachvollziehen, wovon die Rede ist, wenn Menschen mit ihnen über ihre Lebenskrisen sprechen. Hinter dem Klischee der weltfremden Ordensschwester stecke viel Unwissenheit, sagen sie. „Alleine für unseren Gebetsauftrag der Fürbitte müssen wir informiert bleiben, was in der Welt passiert“, sagt Schwester Hanna-Maria.
Die Aufnahme in die Communität verläuft in Etappen und dauert etwa acht Jahre. Die Bindung – möglichst auf Lebenszeit – soll keine spontane Lösung für solche sein, die mit ihrem Alltag „draußen“ nicht klarkommen. Es wird eine abgeschlossene Berufsausbildung vorausgesetzt. Erst gibt es eine Art Probezeit, das Postulat, dann das Noviziat. „Dass es in unserer Gesellschaft viele Bindungsängste gibt und ernsthafte Beziehungen später eingegangen werden als früher, spiegelt sich auch im zahlenmäßigen Wachstum der Communität wider“, sagt Schwester Elisabeth. Auch wenn die Zahlen zurückgehen, hat die Gemeinschaft über 100 Mitglieder, unter denen auch drei Brüder sind. Die älteste Schwester ist 91, die jüngste Novizin 28.
Und wann haben die Schwestern mal Zeit für sich? „Samstag ist unser freier Tag“, erzählt Schwester Hanna-Maria. „Da sind wir in Alltagskleidung und jede für sich unterwegs.“

Communität Christusbruderschaft, Konvent Lutherstadt Wittenberg, Kirchplatz 10. Internet: www.christusbruderschaft.de.