Artikel teilen:

Diakonisse: Häftlinge brauchen eine Liebe, die sie hält

Schwester Ursel Neuhaus aus Güstrow besucht regelmäßig Häftlinge in der JVA Rostock-Waldeck. Uns hat sie erzählt, was in diesen Begegnungen das Wichtigste ist.

Wurden für ihr ehrenamtliches Engagement in den Gefängnissen Rostock-Waldeck und Bützow ausgezeichnet: Caroline Weinstock (v.l.), Diakonisse Ursel Neuhaus und Gisela Oehlke
Wurden für ihr ehrenamtliches Engagement in den Gefängnissen Rostock-Waldeck und Bützow ausgezeichnet: Caroline Weinstock (v.l.), Diakonisse Ursel Neuhaus und Gisela OehlkeJana Bergmann

„Ich habe eine starke Motivation, für diese Menschen einfach da zu sein. Ich verurteile sie nicht, sondern ich sehe: Sie brauchen eine Liebe, die sie festhält. Und wenn sie mich fragen: ‚Woher hast du diese Liebe eigentlich?‘, dann kann ich ihnen auch erzählen, wer Gott ist.

Neben intensiven Gesprächen über den Glauben ist mir wichtig, sie nach ihrer Perspektive für die Zeit nach dem Aufenthalt zu fragen. Wo willst du hin? Das geht am besten in Einzelgesprächen, in der Gruppe outen sich die Männer nicht gern.

Bei Häftlingen und Suchtkranken muss sich etwas im Innen ändern

Ich habe früher in Stuttgart in Fürsorge-Unterkünften gearbeitet und dort beobachtet: Menschen, die stark alkoholisiert sind und in solchen Unterkünften leben, finden kaum mehr einen Weg heraus aus der Sucht, und das hängt sehr stark mit ihrem Selbstverständnis zusammen. Viele haben überhaupt keine Ziele mehr, sind entwurzelt, haben große Schwierigkeiten, wieder Kontakt zur normalen Gesellschaft zu finden. Mir ist da klargeworden: Es muss sich nicht groß die äußere Situation ändern, es muss sich in ihrem Inneren etwas ändern. Im Fühlen, im Denken, im Wollen!

Das ist bei den Männern, die wir in der JVA Rostock-Waldeck besuchen, genauso. Ich ermutige sie deshalb kolossal, sich jetzt schon zu überlegen, was sie für ihr Leben nach dem Aufenthalt tun können. Wenn sie über die Taten reden möchten, die sie begangen haben, höre ich auch zu, aber ich frage sie nicht danach.

Im Gefängnis gibt es Menschen wie Perlen im Schlamm

Ich habe vor vielen Jahren bei der Gefährdetenhilfe Scheideweg in Nordrhein-Westfalen ein Praktikum gemacht. Das war ein Verein, der gefährdeten jungen Leuten eine neue Perspektive zeigen wollte. Die Mitglieder hatten eine steile Motivation, ins Gefängnis zu gehen, und haben entdeckt: Dort gibt es Menschen, die sind wie Perlen im Schlamm.

Sie haben den Entlassenen eine Heimat in Lebensgemeinschaften geboten und eine Berufsausbildung. In Wendorf bei Waren an der Müritz gründete die Gefährdetenhilfe 1992 eine ähnliche Arbeit. Dort habe ich sechs Jahre lang mitgearbeitet.

Engagierte Christen haben Menschen aus der Haft und Drogenabhängigkeit in ihre Familien aufgenommen, mit ihnen zusammen gelebt und gearbeitet. Ich habe gesehen, wie sich eine Stabilität im Leben wieder einstellt, wenn Menschen so aufgenommen werden und sie Gottes Hilfe im Alltag erleben. Einer von unseren Jungs, der aus der Droge wieder herausgefunden hat, leitet heute eine Einrichtung, die 30 Kindern aus ganz schwierigen Verhältnissen ein Zuhause gibt! Wenn das nicht eine Veränderung ist! So etwas freut mich außerordentlich.

Bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder komme ich an meine Grenzen

Aber natürlich komme ich im Gefängnis auch mal an meine Grenzen. Wenn Männer sich an Kindern vergangen haben – da fällt es mir sehr schwer, nicht zu bewerten. Aber ich sage mir, auch wenn ein Mensch die Würde eines anderen zutiefst verletzt hat, ist seine Würde unantastbar. Ich kann meine Abwehr, meinen Schmerz vor allem Gott sagen und einen Weg suchen.

Wir alle in der Kontaktgruppe machen die Erfahrung, dass wir eine Liebe zu diesen Menschen geschenkt bekommen. Deswegen gehen wir immer wieder hin, auch wenn es manchmal bürokratische Hürden gibt. Wir lassen es uns nicht nehmen, für diese Menschen da zu sein.