von Thorge Rühmann
Rendsburg. Kalendarisch beginnt der Winter zwar erst am 21. Dezember, doch die kalte Jahreszeit ist längst mit Temperaturen rund um den Gefrierpunkt in Schleswig-Holstein angekommen. Für die Menschen hier bedeutet das ganz Unterschiedliches: Während manche sich beim Spaziergang über raureifbedeckte Wiesen und überfrorene Seen freuen, kümmern andere sich schlicht darum, dass das Auto mit Winterreifen fährt. Die meisten genießen ihr warmes Zuhause. Für wohnungslose Menschen gilt das nicht – für sie bedeutet die Kälte akute Lebensgefahr.
150 Menschen leben hier "auf Platte"
Ohne eine Unterkunft kann jede Übernachtung auf Bürgersteigen, Bahnhofsvorplätzen und in Parks die letzte sein – wenn der Wohnungslose nicht entsprechend ausgestattet ist. Das Notprogramm des Diakonischen Werks Schleswig-Holstein unterstützt diese Menschen deshalb mit Schlafsäcken, warmer Kleidung und zusätzlichen Notunterkünften. „Wir wollen verhindern, dass Menschen, die auf der Straße leben, bei Frost und Schnee erkranken oder erfrieren“, sagte Landespastor
Heiko Naß. Das Programm, das vom Land Schleswig-Holstein mit 20 000 Euro gefördert wird, richtet sich vor allem an Wohnungslose, die „Platte machen“, also nur auf der Straße leben. Zwischen Nord- und Ostsee sind dies bis zu 150 Menschen. Sie lehnen es meist ab, in den bereits bestehenden Notunterkünften zu übernachten.
Hilfe wird häufiger in Anspruch genommen
Nach Angaben des Diakonie-Pressesprechers Friedrich Keller steigt die Anzahl der Wohnungslosen und von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen seit mehreren Jahren stetig weiter an. Im Jahr 2015 wurden demnach in den Beratungsstellen und Notunterkünften der Diakonie rund 6500 Rat- und Hilfesuchende gezählt – das sind rund 1000 Fälle mehr als 2014. In den sozialen Brennpunkten, beispielsweise in Flensburg, Kiel, Lübeck und Neumünster ist die Lage besonders dramatisch: Dort nahmen im vergangenen Jahr mehr als 4850 Menschen die Hilfsangebote in Anspruch.
Eine wesentliche Ursache sei neben den persönlichen Notlagen der Betroffenen der anhaltend hohe Druck auf dem Markt für bezahlbare Wohnungen, so Naß. Während immer mehr Sozialwohnungen aus der Mietpreisbindung fallen, wachse gleichzeitig die Zahl der Bedürftigen. Gleiches schildert Lutz Regenberg von der Vorwerker Diakonie in Lübeck: „Menschen mit einem entsprechend negativen Schufa-Eintrag haben heute kaum noch eine Chance auf eine Wohnung.“ Die zur Verfügung stehenden
Räume der Vorwerker Diakonie seien bereits überbelegt, so Regenberg: „Und das, obwohl wir bereits erweitert haben.“ Nun sollen die Kapazitäten erneut vergrößert werden.
Neues Hilfsprojekt startet
Um zeitnah Abhilfe zu schaffen, werden nun erstmals Wohnungen angemietet und direkt an Menschen weitervermietet, die schon länger in einer Notunterkunft leben. Regenberg: „Auf diese Weise konnten wir Wohnungslosen schon 28 Wohnungen zur Verfügung stellen.“ Die Stadt Kiel stellt zur kalten Jahreszeit drei beheizbare Container für Wohnungslose bereit, die von Mitarbeitern der Diakonie betreut werden. Doch auch hier stößt die Einrichtung zunehmend an die Kapazitätsgrenze.