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Diagnose bösartiger Hirntumor – Ein Buch über das Leben auf Zeit

Wer wird schon gern mit dem Tod konfrontiert? Der an einem Glioblastom erkrankte Filmemacher Max Kronawitter hat sich der Situation gestellt und darüber ein Buch geschrieben – zum Weinen, zum Lachen und voller Hoffnung.

“Jetzt hat es also auch dich erwischt”, geht es Max Kronawitter durch den Kopf, als er das Ergebnis “bösartiger Hirntumor” erfährt. Es ist der 5. Dezember 2022. Seine Ehefrau Heike, selbst Ärztin, hatte ihren damals 61-jährigen Mann zur MRT-Untersuchung im Münchner Klinikum Großhadern gedrängt, nachdem er immer wieder rechts oben Blitze gesehen hatte. Nun drückt sie ihn an sich und sagt unter Tränen: “Max, du wirst sterben.” Die Diagnose erschüttert das Paar in den Grundfesten ihrer Existenz. Alles wird von da ab anders sein, für die beiden und ihre drei Kinder David, Marie und Lucia.

Acht Tage später wird der Patient operiert. Die OP verläuft gut. Doch in der Folge stellt er fest: “Halb blind zu sein, damit hatte ich niemals gerechnet, darauf hat mich keiner vorbereitet.” Die Probleme beim Sehen werden bleiben. Probleme bereitet ihm bis heute das Lesen, aber nicht das Schreiben. Zwei Sachen, wie Kronawitter erfährt, die im Gehirn keine Einheit bilden. Alles, was selbstverständlich war, wie Zähneputzen und Rasieren, wie das Checken von E-Mails am Handy, wird zum Problem. Er ist auf Hilfe angewiesen, kämpft dagegen an und lernt vieles wieder neu.

“Ikarus stürzt” heißt das Buch, das am heutigen Montag bei Herder erscheint und das jüngst im Pfarrsaal von Sankt Bonifaz in München vorgestellt wurde. Mit Abt Johannes Eckert verbindet Kronawitter seit Jahren eine Freundschaft, der Benediktiner ist es auch, der ihm neben der Familie in dieser schweren Zeit zur Seite steht. Kronawitter, dessen Firma den Namen “Ikarus” trägt, wird klar, dass es mit dem Drehen vorbei ist. Doch da ist seit Längerem die Anfrage des Verlags, ob er nicht einmal ein Buch schreiben wolle. Jetzt, denkt sich der Filmemacher, Journalist und Theologe, könne er endlich ein Thema vorschlagen: Er will seine ganz private Geschichte erzählen.

Mit der Kamera hat Kronawitter über die Jahre viele Menschen und ihre Schicksale porträtiert: Da ist Sandra, der der Ausstieg aus der Prostitution gelang und die heute als Anwältin arbeitet. Oder Ferdi, der an Kinderlähmung erkrankte und es aus der “Eisernen Lunge” schaffte. Oder die 13-jährige Wenke, die ihren tödlichen Tumor “Hugo” nannte. Oder der Auschwitz-Überlebende Peter Gardosch. Weltweit war Kronawitter für Dreharbeiten unterwegs, in Afrika, auf den Philippinen und in Papua-Neuguinea. Er berichtete vom Elend in dieser Welt, aber auch von kirchlichen Hilfsprojekten, die den Betroffenen eine neue Zukunft eröffneten.

Weil Filmen nicht mehr geht, hält Kronawitter nun Tag für Tag fest, was ihm im wahrsten Sinn des Wortes durch den Kopf geht. Er zieht das nicht allein durch. Wie auch? Er braucht vor allem Heike. Wie durch ein Brennglas erlebt der Leser diese neun Monate mit, durch welche Turbulenzen der Krebspatient und seine Familie gehen. Keiner weiß, wie viel Zeit ihnen noch bleibt. Die Emotionen schlagen hoch, Konflikte bleiben nicht aus, weil Max alle Energie in dieses ihm so wichtige Projekt steckt. “Das Buch musste geschrieben werden”, resümiert Heike. Für sie und für die Kinder. Dabei verhehlt sie nicht, das beide in dem Schaffensprozess auch viel gestritten hätten.

Es geht zu Herzen, wenn Kronawitter schildert, welche Höhen und Tiefen er durchlebt und dies zu seinen früheren Filmen ins Verhältnis setzt. Gespannt verfolgt man, wie er sich mit seiner Frau für Bayerns “Hochzeit des Jahres 2023” von Prinz Ludwig fertig macht, über dessen Afrika-Engagement er gleichfalls einen Film gedreht hat. Man leidet mit ihm bei seinen Überlegungen, ob er den durch Chemo und Bestrahlung kahl gewordenen Kopf mit einer Perücke bedecken soll. Als er sich doch für eine Kappe entscheidet, lacht man mit, als Gäste beim Empfang in Nymphenburg interessiert fragen, welcher Religion er angehöre, weil permanent sein Haupt bedeckt sei.

“Ich gehöre doch überhaupt nicht mehr dazu, wenn ich nicht mehr liefern kann”, sorgte sich der Filmemacher. Doch zur Präsentation seines Werks strömten Freunde und Weggefährten in großer Zahl. Familie, Freunde, Glaube und Hoffnung trägt einen in solchen Tagen. “Eine besondere Zeit geht zu Ende und eine andere besondere Zeit beginnt”, schreibt Kronawitter am Ende. Nun sei Leben angesagt. “Und wir warten auf das Wunder, das große, das mich wieder ganz gesund macht, aber auch auf die vielen kleinen, die sich täglich um uns herum ereignen.”