Vertreter aus Politik und Gesellschaft in Deutschland haben am Montag der Opfer des terroristischen Hamas-Überfalls auf Israel vor einem Jahr gedacht. Die Welt sei am 7. Oktober 2023 Zeuge des größten Massenmordes an jüdischem Leben seit dem Holocaust geworden, sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) im Düsseldorfer Landtag. Der Gesandte des Staates Israel in Deutschland, Guy Gilady, schlug mehr Städtepartnerschaften vor, um die Verständigung zwischen den Ländern zu stärken. Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, forderte, antisemitische Strukturen hierzulande zu zerschlagen.
Wüst betonte, Israel sei „sicherer Hafen“ für jüdische Menschen gewesen. Diese Gewissheit sei vor einem Jahr erschüttert worden. Er verlangte ein Ende des Blutvergießens und die Freilassung der noch etwa hundert Geiseln in der Gewalt der radikalislamischen Hamas. Zudem sprach er sich für eine bessere humanitäre Versorgung in Gaza aus. Landtagspräsident André Kuper beklagte, dass Israel seit einem Jahr nahezu täglich angriffen werde. Die aktuelle Situation in Nahost sei „eine Tortur für das jüdische Leben und die Menschen jüdischen Glaubens“.
Zentralrats-Vize Lehrer sagte, seit dem Hamas-Angriff habe es in Deutschland eine Welle judenfeindlicher Demonstrationen und Angriffe gegeben. Zu den „tiefen Spuren“ des Nahost-Konflikts gehöre, dass jüdische Menschen am Arbeitsplatz und in den Schulen gemobbt, auf der Straße angegriffen, an den Universitäten diskriminiert und in Sozialen Medien attackiert, beleidigt und ausgegrenzt würden.
Die NRW-Antisemitismusbeauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) äußerte sich besorgt über wachsenden Hass gegen Juden und forderte mehr digitale Gegenstrategien. „Schon kurz nach dem Terrorangriff fand eine ungeheuerliche Täter-Opfer-Umkehr statt, welche auch die Jüdinnen und Juden hier bei uns direkt zu spüren bekommen haben“, sagte die frühere Bundesjustizministerin der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ (Montag). Dass die Raketenangriffe aus dem Iran auf Israel vergangene Woche auf deutschen Straßen gefeiert worden seien und das Existenzrecht Israels infrage gestellt werde, sei unerträglich.
Zum Zustand der jüdischen Gemeinden veröffentlichte der Zentralrat der Juden in Deutschland die Ergebnisse einer Online-Befragung. Demnach sagen 82 Prozent der Führungskräfte, es sei unsicherer geworden, als Jude oder Jüdin in Deutschland zu leben. Mit den Sicherheitsbehörden sind die Leitungen der jüdischen Gemeinden aber zu 93 Prozent zufrieden.
Fast jede zweite Gemeinde (42 Prozent) verzeichnete im Verlauf dieses Jahres antisemitische Vorfälle, die den Behörden gemeldet wurden. Dass sie Solidarität erfahren, erklärten im August und September 39 Prozent der Gemeinden, Ende 2023 waren es noch 62 Prozent. An der Umfrage beteiligten sich 98 von 105 im Zentralrat organisierte Gemeinden.
Zentralrats-Präsident Josef Schuster warnte, der Ausnahmezustand dürfe niemals Normalität werden. Er bezeichnete fehlende Empathie für Jüdinnen und Juden als ein gewaltiges Problem für die Gesellschaft.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte der „Rheinischen Post“ (Montag), er beobachte eine Verharmlosung von Islamisten in Deutschland. Der deutsche Diskurs habe sich radikalisiert und verhärtet, gerade auch im universitären Milieu.
Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) bezeichnete Antisemitismus als „Schande für uns alle“. „Wer sich von Terror und Mord nicht distanziert, Angriffe auf Israel gar auf unseren Straßen feiert, steht nicht für die Werte unserer freiheitlichen Gesellschaft, der gehört nicht zu uns“, betonte sie.
Hamas-Kämpfer hatten am 7. Oktober 2023 in Israel mehr als 1.200 Menschen getötet und etwa 240 als Geiseln genommen. Israel reagierte mit Krieg im Gaza-Streifen, bei dem nach palästinensischen Angaben seither zehntausende Menschen getötet wurden, und inzwischen auch mit Krieg im Libanon gegen die mit der Hamas verbündete islamistische Hisbollah-Miliz.