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Deutschland braucht mehrere Hunderttausend neue Pflegekräfte

Deutschland altert. Das Land braucht viele neue Pflegekräfte. Doch dazu muss der Beruf attraktiver werden. Ein Überblick.

Die Pflege steckt in der Klemme: Einerseits braucht Deutschland wegen der alternden Gesellschaft Hunderttausende zusätzliche Pflegekräfte in Heimen, ambulanter Pflege und Krankenhäusern. Laut Studien wird es 2030 in der Bundesrepublik 5,7 Millionen Pflegebedürftige geben, bis 2040 dürften es 6,4 Millionen sein. Auch in Krankenhäusern steigt der Bedarf. Gleichzeitig sorgt die Demografie dafür, dass in den nächsten zehn bis zwölf Jahren 500.000 Pflegefachkräfte in Rente gehen.

Und schon jetzt ist der Arbeitsmarkt für Pflegekräfte leer gefegt. Es dauere 230 Tage, bis die Stelle einer Krankenpflegefachkraft besetzt werden kann, rechnete die Bundesanstalt für Arbeit im vergangenen Mai vor. 210 Tage sind es für eine Altenpflegefachkraft. Immer wieder müssen Heime trotz hoher Nachfrage Betten schließen, weil ihnen Personal fehlt.

Das Statistische Bundesamt rechnete am Mittwoch in Wiesbaden vor, dass bis 2049 nach unterschiedlichen Berechnungsmodellen zwischen 280.000 und 690.000 Pflegekräfte fehlen werden. Der Bedarf an erwerbstätigen Pflegekräften werde von 1,62 Millionen im Vor-Corona-Jahr 2019 voraussichtlich um 33 Prozent auf 2,15 Millionen 2049 steigen.

Die Politik versucht gegenzusteuern – vor allem durch eine attraktivere Gestaltung der Arbeit. Wenn es etwa um eine bessere Bezahlung in der Altenpflege geht, ist einiges in Gang gekommen: Seit Herbst 2022 können nur noch Pflegeeinrichtungen mit der Pflegeversicherung abrechnen, die ihre Pflege- und Betreuungskräfte nach einem Tarif bezahlen. Zudem sind die Pflegemindestlöhne mehrfach erhöht worden.

Doch Pflegeverbände verweisen darauf, dass personelle Unterbesetzung, unregelmäßige und ungeplante Arbeitszeiten und hoher Druck zu hohen gesundheitlichen Belastungen und Flucht aus dem Beruf führen. Nach einer 2022 veröffentlichten Studie der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung können sich die Hälfte der Teilzeitbeschäftigten und sogar 60 Prozent der Ausgestiegenen eine Rückkehr in den Pflegeberuf beziehungsweise ein Aufstocken der Stunden vorstellen – sofern sich die Arbeitsbedingungen deutlich verbessern. Das würde hochgerechnet bedeuten: Mindestens 300.000, aber möglicherweise bis zu 600.000 Vollzeit-Pflegekräfte stünden zusätzlich zur Verfügung.

Ein weiterer wichtiger Baustein für einen attraktiveren Pflegeberuf sind erweiterte Kompetenzen für ausgebildete Pflegekräfte. In den kommenden Wochen will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den Entwurf für ein Gesetz vorlegen, das die medizinischen Handlungsmöglichkeiten von Pflegenden deutlich erweitert. Sie sollen eigenständiger Wunden versorgen, Katheter legen, Dementen helfen oder gar Gesundheitspraxen und kleine Krankenhäuser leiten dürfen.

Damit Fachkräfte entsprechend ausgebildet werden können, stärkt die Bundesregierung auch die akademische Ausbildung. Studierende in der Pflege erhalten künftig für die gesamte Dauer ihres Studiums eine Vergütung. Bislang müssen viele von ihnen nebenbei arbeiten, um ihre Ausbildung finanzieren zu können.

Wie frühere Bundesregierungen auch, versucht die Ampelkoalition, mehr ausländische Pflegekräfte nach Deutschland zu holen. Die Bundesagentur für Arbeit bezifferte ihre Zahl im vergangenen Sommer auf 244.000. Ihr Anteil hat sich von acht Prozent 2017 auf 14 Prozent 2022 nahezu verdoppelt. Die meisten von ihnen kommen aus dem EU-Ausland oder aus den Westbalkanstaaten. Darüber hinaus wirbt Deutschland über das Programm “Triple Win” für Pflegefachpersonen aus dem außereuropäischen Ausland. Sie kommen überwiegend aus den Philippinen, Tunesien, Indonesien, Indien und Jordanien, aber auch aus Vietnam.

Mit dem neuen Jahr hat die Bundesregierung einige Hürden abgebaut, die eine Beschäftigung ausländischer Pflegekräfte sehr erschwert hatten: Die Anerkennungsverfahren sollen bundesweit vereinheitlicht und vereinfacht werden. Auch bei den Sprachkenntnissen wurden die Hürden herabgesetzt – schließlich läuft ohne ausländische Pflegekräfte nichts mehr im deutschen Gesundheitswesen.