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Deutsche und polnische Bischöfe streiten über Kirchenreformen

In ungewöhnlich deutlichen Worten hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, in einem Brief den Vorsitzenden der Polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Stanislaw Gadecki kritisiert. Anlass war ein Protestschreiben Gadeckis an Papst Franziskus gegen zentrale Reformideen des Synodalen Wegs der katholischen Kirche in Deutschland. Die Warschauer Tageszeitung “Rzeczpospolita” veröffentlichte am Montag den Brief Bätzings. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) dokumentiert in Auszügen die deutsche Version des Schreibens:

Sehr geehrter Herr Erzbischof, lieber Mitbruder im bischöflichen Amt,

mit einer gewissen Bestürzung und mit großer Enttäuschung habe ich den Brief zur Kenntnis genommen, den Sie am 9. Oktober 2023 an den Heiligen Vater gerichtet haben und der nun veröffentlicht wurde. Am Rand der Synode haben wir in den vier Wochen mehrfach miteinander gesprochen. Es ist schon – gestatten Sie mir dieses offene Wort – ein massiv unsynodales und unbrüderliches Verhalten, wenn Sie mir in diesen Gesprächen nicht ein Wort zum Brief sagen. Anstelle eines Gesprächs haben Sie ein Schreiben an Papst Franziskus gewählt, in dem Sie mit großer Heftigkeit und mit unpräzisen und verfälschenden Aussagen Klage über den Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland führen.

(…)

Sie legen in Ihrer Darstellung großen Wert auf die Gegenüberstellung Ihrer eigenen Katholizität und des Widerspruchs zur katholischen Lehre, den Sie der katholischen Kirche in Deutschland unterstellen. Ich frage mich jedoch, nach welcher kirchenrechtlichen Maßgabe es dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz einer Teilkirche zukommt, über die Katholizität einer anderen Teilkirche und deren Episkopats zu urteilen. Lassen Sie mich Ihnen daher deutlich sagen, dass ich Ihr Schreiben als eine massive Überschreitung Ihrer Kompetenz betrachte.

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Sie verbinden Ihre Kritik mit der These, durch den Synodalen Weg sollten demokratische Prinzipien in der Kirche eingeführt werden. Hier ist an erster Stelle festzuhalten, dass es bereits viele Strukturelemente in der katholischen Kirche gibt, die mit Vorgehensweisen und Strukturen übereinstimmen, wie sie in neuzeitlich-rechtsstaatlich-demokratischen Staatsgebilden gesetzt sind.

(…)

An keiner Stelle der Beschlüsse des Synodalen Weges in Deutschland wird die hierarchische Struktur der katholischen Kirche grundsätzlich infrage gestellt. Anliegen des Synodalen Weges ist es, das Bischofsamt und das Papstamt zu stärken und nicht zu schwächen. Ein Diskurs über die zeitgemäße Ausgestaltung von Leitung freilich muss möglich sein. Hier hat die Kirche zu jeder Zeit die erforderlichen Anpassungen vorgenommen.

Das von Ihnen zum Ausdruck gebrachte distanzierte Verhältnis zur neuzeitlichen parlamentarischen Demokratie, für die neben der Anerkennung der Menschenwürde und der Menschenrechte insbesondere auch die Prinzipien der Verfassungsordnung, der Volkssouveränität, der Rechtsstaatlichkeit, der Gewaltenteilung, des Schutzes von Minderheiten und der Sozialstaatlichkeit gehören, stimmt mich bedenklich. Gerade angesichts einer weltweiten Tendenz zum Aufschwung autokratischer oder gar diktatorischer Herrschaftsformen sollte es doch ein uns und unsere von Diktaturen leidgeprüften Völker verbindendes Anliegen sein, die demokratischen Errungenschaften zu stärken und nicht schwach zu reden.

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Auch im Hinblick auf die gleichgeschlechtlichen Paare, die sich an die Kirche wenden, möchte ich auf die Worte der Synode verweisen: “Auf unterschiedliche Weise bitten auch Menschen, die sich aufgrund ihrer Ehesituation, ihrer Identität und ihrer Sexualität an den Rand gedrängt oder von der Kirche ausgeschlossen fühlen, darum, dass ihnen zugehört wird und sie begleitet werden und dass ihre Würde verteidigt wird. Auf der Vollversammlung wurde ein tiefes Gefühl der Liebe, der Barmherzigkeit und des Mitgefühls für Menschen wahrgenommen, die sich von der Kirche verletzt oder vernachlässigt fühlen und die sich einen Ort wünschen, an dem sie ‘nach Hause’ kommen und sich sicher fühlen können, wo ihnen zugehört wird und sie respektiert werden, ohne dass sie Angst haben müssen, verurteilt zu werden.” (Synthese 16 h). Hier scheint mir insbesondere dieser letzte Halbsatz entscheidend. Gefordert ist ein Verzicht auf Verurteilung anstelle etwa einer böswillig diffamierenden Gleichstellung mit Straßenräubern, wie ich sie Ihrer Argumentation leider entnehmen muss. Die synodale Haltung steht in voller Übereinstimmung mit den Worten von Papst Franziskus, der in Amoris laetitia gesagt hat: “Es ist wahr, dass wir uns manchmal wie Kontrolleure der Gnade und nicht wie ihre Förderer verhalten. Doch die Kirche ist keine Zollstation, sie ist das Vaterhaus, wo Platz ist für jeden mit seinem mühevollen Leben.”

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Um am Ende dieser Ausführungen einem weiteren Missverständnis vorzubauen, betone ich, dass die aus meiner Sicht recht zahlreichen thematischen wie auch perspektivischen Berührungspunkte zwischen dem Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland und der Weltsynode nicht daher rühren, dass die deutschen Bischöfe den Weltepiskopat oder die Weltsynode unterwandert, indoktriniert oder gar korrumpiert hätten. Solche Vorstellungen sind schlicht dem Bereich abstruser Verschwörungstheorien zuzurechnen. Die Berührungspunkte ergeben sich, wie bereits der Synodale Weg der Weltkirche und auch die Weltsynode selbst mehr als deutlich gemacht haben, daraus, dass an vielen Stellen der Weltkirche und in vielen Ortskirchen in recht vergleichbarer Weise sehr ähnliche Fragestellungen auftauchen.

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In diesem Sinn kann ich Sie an dieser Stelle nur einladen, die Katholizität der ganzen Weltkirche und auch die Katholizität der einzelnen Teilkirchen anzuerkennen und ohne Diffamierung und Vorverurteilungen das Gespräch zu suchen. Dabei erinnere ich gerne an die guten Erfahrungen, die die deutschen und die polnischen Bischöfe im Rahmen ihres langjährigen Dialogs auf der Grundlage ihres epochalen Briefwechsels nach den Gräueln des Zweiten Weltkrieges gemacht haben. Auch jetzt in dieser kritischen Situation, in der gegenseitige Entfremdung und Verbitterung drohen, werbe ich um die Fortführung dieses Dialogs.

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Sicherlich werden wir Gelegenheit haben, am Rande der CCEE-Vollversammlung in Malta über den Vorgang zu sprechen. Synodalität bedeutet Hören und Dialog und den wünsche ich mir wenigstens im Nachgang zu Ihrem Brief über uns an den Papst nachdrücklich von Ihnen.

Mit freundlichen Grüßen

Bischof Dr. Georg Bätzing