Klar, der Preis der Kleidung steht auf dem Etikett. Aber ist das der wirkliche Preis? Der Dokumentarfilm „The True Cost – Der wahre Preis unserer Kleidung“ zeigt etwas anderes: Dass nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher einen Preis für ihre Hemden und Hosen bezahlen, sondern viel mehr Menschen: diejenigen, die an der Wertschöpfungskette von Textilien beteiligt sind. Sie leben in so genannten „Billiglohnländern“ in Asien, Mittelamerika oder auch in EU-Staaten wie Rumänien oder Bulgarien. Sie zahlen einen hohen Preis, weil sie oft unmenschlichen Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind, gegen die sie sich nicht wehren können.
Seit den Katastrophen in Fabriken, bei denen Menschen verbrannt sind oder unter einstürzenden Gebäuden begraben wurden, sind diese Zustände in der globalen Textilproduktion immer wieder Gegenstand von Medienberichten. Meist ist dabei der letzte Arbeitsgang im Fokus, das Nähen. Hier sind Löhne unter dem Existenzminimum an der Tagesordnung, sowie überlange Arbeitszeiten, Gefährdung von Sicherheit und Gesundheit der Arbeiterinnen und die Behinderung gewerkschaftlicher Organisierung.
Doch vor diesem letzten Arbeitsschritt gibt es weitere, in denen die Beschäftigten noch viel ungeschützter und verwundbarer sind. Zehnjährige Kinder arbeiten etwa als Wanderarbeiter bei der Herstellung von Baumwollsaatgut oder bei der Baumwollernte. In indischen Entkernungsfabriken, in denen die Samenkörner von den Fasern getrennt werden, arbeiten Saisonkräfte in 12-Stunden-Schichten für 2,47 Euro am Tag. Dabei liegt der örtliche Mindestlohn bei 3,58 Euro für eine 8-Stunden-Schicht (Zahlen aus 2014).
Kein Arbeitsvertrag, keine soziale Absicherung
Es gibt keinen Arbeitsvertrag, keine Lohnabrechnung, keine soziale Absicherung. Armutslöhne bekommen auch die Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter, die Stoffe weben und nach Stück bezahlt werden – in völliger Abhängigkeit von Mittelsmännern. Wer die ganze Wahrheit über den Preis der Kleidung wissen will, muss alle Produktionsstufen in den Blick nehmen. Vom Baumwollfeld bis zum Kleiderbügel.
Dass Unternehmen eine Mitverantwortung für die Arbeitsbedingungen haben, ist inzwischen unstrittig. Dies ist auch Überzeugung der Kirchen, die sagen, dass Gesundheit und Leben von Arbeiterinnen und Arbeitern absoluten Vorrang haben muss vor der Gewinnmaximierung von Unternehmen.
Leider nehmen die meisten Unternehmen diese Verantwortung nicht wahr. Trotz jahrelanger freiwilliger Selbstverpflichtungen gibt es bis heute keine grundlegenden Veränderungen der ökologischen und sozialen Standards.
Um hier weiterzukommen, gab es in letzter Zeit Initiativen auf unterschiedlichen Ebenen. So hat der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen im Jahr 2011 Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet, die eine „menschenrechtliche Sorgfaltspflicht“ für Unternehmen formulieren. Die Bundesregierung hat diese Leitprinzipien in einen nationalen Aktionsplan umgesetzt. Dabei spricht sie lediglich die Erwartung aus, dass Unternehmen die Menschenrechte bei ihren Auslandsgeschäften achten sollen. Wenn sie dies ignorieren, müssen sie aber weder Bußgelder, noch Zivilklagen oder andere Konsequenzen fürchten. Zivilgesellschaftliche Organisationen kritisieren, dass somit die Übernahme von Verantwortung für deutsche Unternehmen weiterhin eine freiwillige Angelegenheit bleibt.
Maßnahmen sollen überprüfbar sein
Eine weitere Initiative ist das „Bündnis für nachhaltige Textilien“ (siehe unten), das der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Oktober 2014 ins Leben gerufen hat. Ziel dieses Bündnisses ist es, nachprüfbare soziale und ökologische Verbesserungen in der gesamten Wertschöpfungskette von Textilien und Bekleidung zu erreichen. Auch wenn diese Initiative ebenfalls auf Freiwilligkeit beruht, berechtigt sie zu einiger Hoffnung, denn die Mitglieder müssen konkrete Maßnahmen ergreifen, die überprüft und – ab 2018 – veröffentlicht werden müssen.
Das Amt für Mission, Ökumene und Weltverantwortung der Evangelischen Kirche von Westfalen ist Mitglied dieses Bündnisses. Bei der Umsetzung der Bündnisziele geht es in erster Linie um den Einkauf von Textilien. Die kirchlichen und diakonischen Einrichtungen sollen mit auf den Weg genommen werden, die Beschaffung nach ökologischen und sozialen Kriterien auszurichten. Weil sie Großverbraucher sind, können sie den Markt positiv beeinflussen und so Vorbild für alle sein.
• Der Autor Dietrich Weinbrenner, bisher Regionalpfarrer im Amt für Mission, Ökumene und Weltverantwortung der Evangelischen Kirche von Westfalen, arbeitet ab April als Beauftragter für nachhaltige Textilien bei der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) in Wuppertal.