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Der Sekretär des Osterhasen

Sein Chef ist umgänglich, liebt Briefe, kann aber selbst nicht schreiben. Deshalb arbeitet Hans-Hermann Dunker seit zwei Jahrzehnten für den Osterhasen und beantwortet alle Zuschriften

Dieter Sell

Es gibt wohl niemanden, der den Osterhasen so gut kennt wie Hans-Hermann Dunker. Der 79-Jährige mit den Lachfältchen in den Augenwinkeln ist seit 20 Jahren sein Sekretär: Er leitet Deutschlands ältestes und größtes Osterhasenpostamt in Ostereistedt bei Bremen. In den Wochen vor Ostern schreiben Kinder und auch Erwachsene aus aller Welt Grüße an den Osterhasen Hanni Hase – meist verbunden mit einem Wunschzettel. „Ich bin dankbar für die Zeit, die ich dem Osterhasen helfen durfte und darf“, sagt Dunker.

Ein Leuchtturm im Meer schlechter Nachrichten

Er selbst sieht in Ostern in erster Linie das christliche Fest mit der Auferstehung Jesu im Mittelpunkt. Schon als kleiner Junge fieberte er den Feiertagen entgegen und baute dem Hasen ein Nest inklusive Regenschutz. Im Osterhasen-Brauch sieht er übrigens keine Konkurrenz zu den christlichen Osterberichten in der Bibel. „Wir erzählen eine schöne Geschichte“, sagt Dunker. „Üble Geschichten gibt‘s genug. Hanni Hase ist ein Leuchtturm im Meer schlechter Nachrichten.“  

Bereits vor mehr als 30 Jahren ging es mit ein paar Dutzend Briefen los, die Kinder an den „Osterhasen in Ostereistedt“ schrieben. Heute gibt es in dem kleinen Dorf im Landkreis Rotenburg gar kein Postamt mehr. Die Sendungen für Deutschlands einzige Osterfiliale der Deutschen Post werden im benachbarten Zeven bearbeitet.
Und längst kann Dunker die Postflut nicht mehr allein bewältigen, die sich in der Hochsaison waschkörbeweise türmt. „Alle Briefe, die wir bekommen, werden beantwortet, meist mit Vordrucken und immer mit Sonderstempel“, sagt der ehemalige Postbeamte. Da braucht Dunker vor allem drei Dinge: Übersicht, Ruhe und Einfühlungsvermögen.

Vor allem Einfühlungsvermögen ist wichtig, denn die Kinder wünschen sich längst nicht nur Schokolade, elektronisches Spielzeug, Playmobil oder Barbie-Puppen vom Osterhasen. Zuweilen bitten kleine Briefeschreiber den Osterhasen um Frieden, Gesundheit für die Oma, einen Job für den Vater oder ein Ende des Streits zwischen den Eltern. Eine Kita sehnt sich gleich nach einem kompletten Sportraum, damit die Kinder mehr Bewegung bekommen.

„Das Osterhasenpostamt ist manchmal so etwas wie ein Kummerkasten“, sagt Dunker. „Da gehe ich natürlich drauf ein.“ In solchen Fällen schlüpft er gelegentlich in die Rolle des Seelsorgers, greift selbst zum Stift und formuliert eine persönliche Antwort.

Der Osterhase könne vielleicht nicht das Problem lösen. „Aber ein wenig Trost spenden und vielleicht einen Tipp geben, das geht.“ Einen Moment glätten sich die Lachfältchen, Dunkers Gesicht wird ernst: „Als Sekretär des Osterhasen habe ich die Chance bekommen, lebendig zu bleiben, mich kümmern zu dürfen, immer wieder herausgefordert zu werden.“

Manchmal denken die Kinder aber auch zuerst an Meister Langohr, so wie Magnus, der dem „lieben Osterhasen“ schreibt: „Hoffentlich hast Du den Winter überstanden und hast keine Erkältung“. Gar nicht selten werden der Osterhase und sein Team selbst beschenkt. Amelie beispielsweise hat ihrem Päckchen eine komplette Schnuller-Garnitur beigelegt: „Damit Du sie Ostern anderen Babys bringen kannst.“ Meistens stecken in den Briefen liebevoll gestaltete Zeichnungen, kleine Basteleien und Schokolade. „Die hat bei uns aber eine kurze Halbwertszeit“, meint Dunker und schmunzelt.

Im vergangenen Jahr trafen bis zum Fest fast 31 000 Zuschriften ein. Die meisten Wunschzettel kommen aus Deutschland. Außerdem gab es viele Sendungen aus Australien, den USA, Kanada, Taiwan, China und Neuseeland. „In diesem Jahr ist Russland der Shootingstar“, erzählt Dunker. Aber auch aus Taiwan, China und vor allem aus Österreich kämen diesmal bemerkenswert viele Briefe. Woran das liegt? Dunker weiß es nicht genau, vermutet aber Mund-zu-Mund-Propaganda.