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Der schwere Weg zurück

Immer mehr Flüchtlinge wollen nicht warten, bis ihre Abschiebung ansteht. Sie gehen freiwillig in ihr Herkunftsland zurück. Die Diakonie berät sie dabei – unabhängig und ergebnisoffen

Ein schlaffer Händedruck, eine gebeugte Körperhaltung, traurige Augen – schüchtern steht der 19-jährige Nasir im Büro von Flüchtlingsberaterin Kerstin Knuth in der Diakonie Gelsenkirchen und Wattenscheid. Höflich sagt er „Guten Morgen“, doch zu mehr reicht das Deutsch des Afghanen nicht. Er lässt seinen Freund und Lehrer Mohammed Mahdi Fakhir sprechen.

Nasir will zurück nach Kabul. Seit sechs Monaten lebt er in einer Turnhalle, die zur Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert wurde. Einen Asylantrag konnte er bislang nicht stellen. Nasir hat Heimweh und sieht keine Perspektive mehr für ein Leben in Deutschland.
„Die deutsche Sprache ist so schwer zu lernen“, murmelt er und sieht schüchtern zu Mohammed Mahdi Fakhir. Den 53-jährigen Afghanen hat Nasir in der Flüchtlingsunterkunft kennengelernt. Fakhir ist vor vier Monaten mit seiner Familie nach Deutschland gekommen und spricht perfekt Deutsch. Er hat viele Jahre in der deutschen Botschaft in Kabul gearbeitet. Jetzt gibt er den Flüchtlingen aus Afghanistan Deutschunterricht. Er will bleiben. „Ich habe Nasir abgeraten, zurückzugehen“, sagt er. „Unser Land ist nicht sicher. Jeden Tag gehen Bomben hoch. Der Terror in Afghanistan bedroht unser Leben.“

Enttäuschte Hoffnungen und tragische Schicksale

Auch Kerstin Knuth fragt noch einmal nach, ob Nasir sich wirklich sicher ist, dass er nach Kabul zurückfliegen möchte. „Sie haben Ihren Asylantrag ja noch gar nicht gestellt“, sagt sie. „Da besteht doch noch Hoffnung.“ Aber Nasir schüttelt den Kopf. Er will nur noch weg und hofft auf finanzielle Unterstützung, um in Afghanistan zwei Monate überbrücken zu können, bis er einen neuen Job als Mechaniker gefunden hat.
13 000 Dollar hat seine Flucht gekostet. Sein Vater hat das Auto verkauft, die Mutter den Schmuck, um wenigstens einem ihrer neun Kinder ein besseres Leben zu ermöglichen. Von seiner Rückkehr sei die Familie enttäuscht, gibt Nasir zu. Wenn er wenigstens etwas Geld mit zurück nach Kabul bringen könne, sei es einfacher.
Tatsächlich übernimmt der deutsche Staat die Kosten für die Rückkehr. Wie hoch die finanzielle Förderung ausfällt, ist je nach Land allerdings unterschiedlich. Asylsuchenden etwa, die in die Balkanstaaten zurückkehren, wird nur der Fahrschein erstattet.
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) organisiert im Auftrag von Bund und Ländern das Programm REAG (Re-Integration and Emigration Programme for Asylum Seekers in Germany), durch das Beförderungskosten und Reisebeihilfen gegeben werden. Zusätzlich kann über das ebenfalls von der IOM durchgeführte Programm GARP (Government Assisted Repatriation Programme) Starthilfe beantragt werden. In Nasirs Fall sind es 700 Euro.
Kerstin Knuth füllt mit den Flüchtlingen, die zu ihr kommen, die Anträge aus. 2015 beantragten bundesweit 37 220 Menschen die Rückkehrförderung. In NRW waren es 8213, doch allein im Februar schon 1278. Auch bei der Diakonie Gelsenkirchen sind die Beratungen sprunghaft angestiegen.
Kerstin Knuth und ihre Kollegin Astrid Kiepert berieten in den ersten drei Monaten dieses Jahres fast so viele Menschen wie im gesamten Jahr 2015. Der Großteil der Flüchtlinge stammt aus den Balkanstaaten. Doch zunehmend suchen auch Afghanen, Iraker, Pakistani und sogar Syrer die Beratungsstelle auf.
„Viele kommen, wenn die Abschiebung bereits angedroht wurde“, erzählt Kerstin Knuth. „Einige fürchten, plötzlich von der Polizei abgeholt zu werden, andere wollen mit einer freiwilligen Rückkehr die Einreisesperre vermeiden, die bei Abschiebungen für zwei bis fünf Jahre verhängt wird.“
Hinter jeder Rückkehr stecken enttäuschte Hoffnungen und häufig auch tragische Einzelschicksale. Daher prüft Kerstin Knuth mit den Flüchtlingen, ob alle Möglichkeiten des Asylrechts ausgeschöpft sind, und welche Unterstützungen es für einen Neustart im Herkunftsland gibt.
Auch wenn Flüchtlinge aus dem Irak, Afghanistan oder gar Syrien vor ihr sitzen und eine freiwillige Ausreise beantragen wollen, fragt Kerstin Knuth genau nach, ob sie sich die Rückkehr in ein Bürgerkriegsland gut überlegt haben. Immerhin liegt die Anerkennungsquote von Flüchtlingen aus Afghanistan bei 77 Prozent. Als Nasir seinen Antrag unterschreibt, betont sie daher, dass er sich nochmals an sie wenden kann, falls er doch noch unsicher werden sollte.
Aber Nasirs Entschluss steht fest. „Ich halte es nicht mehr aus, untätig in einer Turnhalle zu sitzen in einem Land, dessen Sprache ich nie verstehen werde.“