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Der Mensch ist mehr als Arbeit

Das hebräische Wort für „den Sabbat halten“ bedeutet auch: aufhören, zu Ende kommen. Denn irgendwann muss es auch mal gut sein mit all der Mühe. Gott selbst hat es vorgemacht am siebten Schöpfungstag

Smileus - stock.adobe.com

Der Traum von Ruhe in der Bibel sieht so aus: ungestört unter dem eigenen Weinstock oder unter einem Feigenbaum sitzen. Allerdings: Selbst bei diesem idyllischen Bild ist das mit der Ungestörtheit leichter gesagt als verwirklicht. Man sitzt und sieht: „Ah, da muss ich schnell noch die Blätter zurückschneiden, sonst bekommen die Trauben zu wenig Sonne.“
Ruhe will gelernt sein. Ich tue mich schwer damit, wenn die Hausärztin mir verordnet: „Spannen Sie mal aus!“ Dann lege ich mich zu Hause aufs Sofa und spreche vor mich hin: „Ich entspanne mich, ich entspanne mich, ich entspanne mich“ – und werde darüber ganz nervös. Aber auch ein Zappelphilipp wie ich kennt das Wohlgefühl, wenn man mal so richtig zur Ruhe kommt. Wenn die Gedanken nicht rasen und mich nicht plagt, was noch zu tun ist.

Das schlechte Gewissen in den Besenschrank

Das schlechte Gewissen habe ich in den Besenschrank gesperrt. Morgen mag es wieder wurmen, heute nicht. Ich ignoriere, dass ich die abgeblühten Köpfe der Rose auf dem Balkon schneiden sollte. Ich finde sie auch so schön. Aus dem Smartphone lächeln mich 17 ungelesene WhatsApp-Nachrichten und acht neue E-Mails an. Ich lächele zurück. Vielleicht ein Spaziergang. Vielleicht ein Gottesdienst und eine Runde Yoga, um Seele und Körper zu dehnen. Vielleicht auch nichts davon, stattdessen ein Peter-Alexander-Film im guten alten dritten Fernsehprogramm. Ein Gefühl macht sich in allen Gliedern breit: Dies ist ein perfekter Tag. Ich möchte ihn nicht anders verbringen als so und hier und jetzt.
Das Ziel der Schöpfung heißt Ruhe. Gott kreiert das Universum in sechs Tagen „und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken“ (1. Mose 2,3). Seliges Nichtstun ist kein göttliches Privileg. Am siebten Tag ruhen, das gilt für alle. Für Frau, Mann, Tochter, Sohn. Für die Herrin genauso wie für den Sklaven.
Das ist revolutionär. Wer obenauf ist, lässt es sich gerne gut gehen und die anderen dafür springen. In der Bibel ist es Gottes Wille: Wenigstens an einem Tag in der Woche muss niemand schuften, dürfen alle aufatmen. Leben soll nicht zu Lasten und auf Kosten anderer gehen. Der Ruhetag gehört dem Fremden genauso wie der Einheimischen. Er ist für Mensch und Tier geschaffen. Der Esel ist für einen Tag nicht nur Lastenschlepper, der Ochse nicht bloß zum Dreschen da.
Das Leben besteht aus Maloche. Aber seine Bestimmung ist Ruhe. Sie zu garantieren, ist Chefsache. „Ich persönlich will gehen und euch Ruhe verschaffen“, verspricht Gott seinem Volk Israel, nachdem er es aus Ägypten geführt hat (2. Mose 33,14). Ägypten – das war das Sklavenhaus. Der Pharao ließ die Israeliten bis zum Umfallen rackern. Gott befreit sie aus der Plackerei. Der Mensch ist mehr als Arbeit. Er ist zur Freiheit bestimmt. Daran erinnert der Sabbat. Er ist Gottes Vision für eine gerechte und glückliche Welt, in der jedes Lebewesen und alles, was er geschaffen hat, sich freut und das pure Leben feiert.
Die selige Ruhe in der Bibel ist keine Friedhofsstille. Sie kann ziemlich laut sein. Das Fest ist der Inbegriff dafür, wie Menschen den Sabbat begehen. Sie backen und kochen vorher, damit am Festtag alles parat steht. Sie tischen auf, was Vorratskammer und Küche hergeben.

Eine heilsame Unterbrechung

Das Verb in der Bibel für „den Sabbat halten“ bedeutet übersetzt „aufhören, zu Ende kommen“. Zum Glauben gehört die heilsame Unterbrechung. Die anderen Wochentage werden im Hebräischen einfach durchgezählt: erster, zweiter, dritter Tag. Nur der siebte Tag hat seinen eigenen Namen: Sabbat. Er steht für die besondere Qualität, die das Leben nach Gottes Willen haben soll. Der Mensch bewegt sich durch die Woche auf die Ruhe und Harmonie der Schöpfung zu, wie Gott sie ursprünglich gedacht hat. Ein schöner Gedanke.
Wie gibt man Ruhe? Das Vorbild dafür ist der Schöpfer selbst. Er schaut sich am Abend des letzten Schöpfungstages alles an, was er gemacht hat, „und siehe, es war sehr gut“ (1. Mose 1,31). Es gut sein lassen für einen Tag, damit fängt die Ruhe des Feiertages an. Aber ich kenne mich. Ich trickse mich selbst gern aus. „Ach, das bisschen Staubwischen ist doch schnell erledigt.“ Oder: „Mails lesen ist doch keine Arbeit, dabei kann ich prima entspannen!“
Darum gibt es in der Thora, also in den fünf Büchern Mose genaue Vorschriften, was am Sabbat erlaubt ist. Jüdinnen und Juden kennen 39 Arten von Arbeit, die verboten sind. Zum Beispiel säen, Getreide schwingen, kneten, waschen, zwei Schleifen machen, zwei Buchstaben schreiben, Feuer entfachen und löschen, mit einem Hammer schlagen, eine Gazelle oder ein anderes Tier jagen. Das trifft nicht mehr in allen Punkten die Lebenswelt heute. Aber die Intention ist klar: alles sein lassen, was sonst den Alltag bestimmt. Dadurch die Muße gewinnen, um mich zu besinnen auf mich und auf Gott.
Auf der jüdischen Internetseite www.chabad.org gibt es Checklisten für die Aufgaben, die man vor dem Sabbat erledigen soll, um ihn dann entspannt feiern zu können. Betten frisch beziehen, den Müll rausbringen, abwaschen oder das schmutzige Geschirr außer Sichtweite stellen, Lebensmittel einkaufen, Gäste einladen, die Eltern anrufen, die Kinder baden. Und das Last-Minute-Programm: Fingernägel schneiden, festliche Kleider anziehen, Kerze anzünden. Schließlich: „Holen Sie gut Luft, entspannen Sie und heißen Sie den Sabbat willkommen. Alle Arbeit ist erledigt. Nicht erledigte Sachen sollten Sie jetzt nicht mehr stören. Für die nächsten 25 Stunden haben Sie Pause. Schabbat Schalom!“

Tipps für einen erholsamen Sonntag

Solche Tipps gibt es auch, um sich auf den christlichen Sonntag vorzubereiten: die To-dos für Job und Haushalt am Samstag erledigen. Die Tasche für Montag schon am Samstagabend packen und den Kalender darin verschwinden lassen. Keine Sonntagsbrötchen an der Tanke kaufen, sondern meine Lieblingsauswahl einfrieren und am Sonntagmorgen aufbacken – allein der Duft! Im Internet gucken, in welchen Gottesdienst ich gehen will und schon mal Geld für die Kollekte in die Hosentasche stecken.
Oder lieber ein Fernsehgottesdienst vom Sofa aus oder eine Morgenfeier im Radio, die ich per Handy und Ohrstöpsel beim Spaziergang mit dem Hund durch die Weinberge höre?
Jesus hat gesagt: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.“ (Markus 2,27) Den Feiertag heiligen, das ist Gottes große Erlaubnis: Du musst nichts tun. Du darfst sein.