Der erste Atemzug des Menschen – in der Bibel ist er kein einsames Luftholen, kein bloßer körperlicher Reflex, sondern ein Beziehungsgeschehen, sagt Pastor i.R. Burkhardt Ebel aus Schwerin. Und zitiert aus dem ersten Buch Mose, Kapitel 2, Vers 7: „Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.“
„Lebendiges Wesen“ – im hebräischen Urtext steht „Nefesch“, was ein ebenso zentrales, wie schwer zu übersetzendes, Wort ist, sagt Ebel. Es bedeutet ursprünglich „Kehle“ und gleichzeitig so viel wie: die einem Wesen innewohnende Lebenskraft, Lebensgier, Leidenschaft, seine Bedürfnisse …
Das Bedürfnis des Menschen nach Luft holen
„Und das erste Bedürfnis des Menschen ist das nach Luftholen, nach Atmen“, sagt Ebel. „Deshalb bläst Gott dem Menschen den Odem des Lebens in die Nase.“ Eben das schwingt für den Theologen mit, wenn er das Fastenmotto der evangelischen Initiative „Sieben Wochen ohne“ für die Zeit bis Ostern liest. „Luft holen! – Sieben Wochen ohne Panik“ lautet es.
Burkhardt Ebel, der seit über 20 Jahren immer wieder im Haus der Stille im mecklenburgischen Bellin einkehrt und das Haus ehrenamtlich mit leitet, hat den Eindruck: Unsere Gesellschaft krankt daran, dass Menschen sich nicht mehr als verbundene Wesen wahrnehmen, wenig Zusammenhalt erleben – darum verunsichert sind und leicht panisch werden.
Eingebettet in die Schöpfung
Die hebräischen Texte der Bibel, sagt er, betonen die schlechthinnige Abhängigkeit des Menschen und damit auch seine Verbundenheit, sein Eingebettet sein in die Schöpfung. „Wir Menschen heute meinen, selbst zu entscheiden. Der Hebräer dagegen erlebt Führung“, sagt Ebel. „Wir heute sagen: Ich denke, ich rede. Der Hebräer formuliert: Der Geist des Herrn redet in mir. Wir sagen: Ich bin ein Individuum. Der Hebräer weiß sich eingebunden in eine Gemeinschaft und behirtet.“
Die schlechthinnige Abhängigkeit des Menschen nicht zu sehen, sei eine Falle im Denken, sagt Ebel. Eine, die Anspannung und Druck erzeuge. „Wenn mein Ich für mich absolut ist, muss es alles sein. Dann muss es optimiert werden, muss die Lebenszeit voll ausgeschöpft werden, muss ich der Beste, die Beste in diesem oder jenem sein“, erklärt er. Wer sich dagegen als Beziehungswesen in schlechthinniger Abhängigkeit begreife, wer sich inmitten aller Zweifel doch gehalten wisse, der finde hinein in eine heilsame Demut, in Vertrauen und Gelassenheit.
Zeit, um zu atmen
Ganz praktisch, sagt Burkhardt Ebel, helfe dabei auch das bewusste Atmen. „In der Theologie spielt der Atem gar keine große Rolle, aber er ist grundlegend für jede spirituelle Praxis.“ Ebel selbst achtet darauf, wenn er einen Gottesdienst hält: dass er den Menschen etwa am Anfang des Gottesdienstes und im Fürbittengebet Zeit gibt, einfach mal still zu werden, nur zu atmen und wahrzunehmen: „Wie bin ich hier?“ – „An den Atem können wir uns halten“, sagt er. Und er lasse sich auch mit bestimmten Worten oder Sätzen heilsam verbinden. „Im klassischen Herzensgebet spricht man zum Beispiel einatmend ‚Herr Jesus Christus‘, ausatmend ‚erbarme Dich meiner‘.“
Und weil der Lebensatem von Gott kommt, sagt Ebel, ist Atmen im Grunde ein ständiger Dialog mit Gott. Oder wie die jüdische Lyrikerin Rose Ausländer es beschreibe: eine Litanei, eine sich wiederholende Liedzeile im Gottesdienst des Lebens. Rose Ausländer dichtete:
Die Luft geht
durch mich wie
durch Luft
Atem