“Dat is för mi dat Größte, wat an Heimatgefühl noch mal gaut doot.“ Wenn Annie Heger über Plattdeutsch spricht, leuchten ihre Augen. Ihre Stimme wird weich, fast ehrfürchtig. Die ostfriesische Künstlerin und Autorin hat gemeinsam mit Musiker Jan Simowitsch ein Album veröffentlicht, das genau dieses Gefühl musikalisch einfängt: „Depenklang“.
Ursprünglich stammt die Musik von einem Projekt mit dem Titel „Tiefenklang“, das Simowitsch vor rund einem Jahr zusammen mit Ulf Werner als musikalische Begleitung zu einem Andachtsheft veröffentlicht hatte. Die Resonanz war groß, die Lieder wurden in ganz Deutschland gehört. Was dann folgte, war fast logisch – zumindest für Heger: „Ich hatte ja die plattdeutschen Übersetzungen für ‚Tiefenklang‘ gemacht. Aber als wir das erste Mal eine ‚Tiefenklang‘-Andacht gefeiert haben, habe ich noch mal ganz anders gemerkt, was das alles bedeutet.“
Plattdeutsch ist das Herz des Albums
Aus der Übersetzung wurde eine „Übertragung“, erklärt Heger. Denn einfach Wort für Wort ins Plattdeutsche zu übersetzen, wäre zu kurz gegriffen. „Ich muss für die plattdeutschen Ohren plattdeutsche Heimatbilder finden“, sagt sie. Im Lied „Wandersmann“, das in der neuen Fassung „Leg wesen mien“ heißt, wird aus dem anonymen Wanderer ein vertrautes Bild: „Du, komm un sett di dal einmal blank mi. Dann snackt wi een Wurt un delen dat Brot.“
Die Sprache ist dabei nicht nur Transportmittel, sondern Herzstück des Albums. Auch wenn Simowitsch selbst kein Platt spricht – die Faszination für die Sprache und ihre emotionale Tiefe hat ihn längst gepackt: „Plattdeutsch ist für mich ein Gefühl, ein bisschen Sehnsucht nach etwas, was nie wirklich da – aber doch immer im Kopf war.“
Aus sieben Liedern ist etwas Großes geworden
Musikalisch hat sich „Depenklang“ weiterentwickelt. Während „Tiefenklang“ eher klavierintim war, ist die neue Produktion mit Band deutlich poppiger. Simowitsch beschreibt es als „heimatlichen Plattdeutsch-Sound mit weltläufiger Note“. Die Songs erreichen ein breites Publikum, nicht nur im Norden. Die Kombination aus eingängigen Melodien, tiefgründigen Texten und einer Sprache, die vielen etwas bedeutet, scheint zu wirken. „Wir wollten eigentlich nur sieben kleine Lieder aufnehmen, und jetzt bekommt das Ganze eine echte Reichweite“, sagt Heger.
Besonders live entfaltet das Projekt seine volle Wirkung. Beim Kirchentag in Hannover standen Heger und Simowitsch auf einer der großen Bühnen. „Ich musste die ersten fünf Minuten weinen“, erinnert sich Heger. „So viele Menschen waren wegen unserer Musik gekommen.“
Heimat jenseits von Folklore
Auch Simowitsch ist tief bewegt von den Reaktionen: „Ich sehe mehr Menschen weinen als tanzen. Das berührt mich sehr.“ Dabei macht es für ihn keinen Unterschied, ob er vor 1000 oder 20 000 Menschen spielt. „Publikum macht etwas. Ich reagiere beim Spielen auf alles, was aus dem Publikum kommt.“
Die plattdeutsche Community, so beschreiben es beide, sei dankbar für Musik, die sie ernst nimmt, jenseits von Folklore. Und so wird „Depenklang“ für viele zu einem Stück emotionaler Heimat. Heger sagt: „Für mich ist das eine Platte, die mich einmal durch alle Emotionen gehen lässt. Gefühle müssen durchgefühlt werden, damit wir sie bewältigen können.“
Was man bekommt, wenn man das Album hört? Simowitsch bringt es so auf den Punkt: „Ein bisschen Heimatgefühl, ein bisschen Geborgenheit. Wie ein guter Kaffee – aber zum Mitnehmen. Und mit Melodien, die man auf den Lippen hat, wenn man unterwegs ist.“