8.400 Menschen warten in Deutschland auf ein neues Organ. Im vergangenen Jahr gab es aber nur 900 Spender. Bundestagsabgeordnete wollen deshalb die Regeln ändern. Das ist umstritten.
Der Bundestag will sich am Donnerstag erneut mit einer Reform der Transplantationsmedizin befassen. Mit einem fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf wollen Abgeordnete die sogenannte Widerspruchsregelung einführen. Das Thema wird in Erster Lesung behandelt; wegen der vorgezogenen Wahlen ist eine Verabschiedung des Gesetzes eher unwahrscheinlich. 2020 hatte das Parlament diese Regelung abgelehnt. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) nennt wichtige Fakten zu dem Thema.
Die Organspendezahlen befanden sich 2023 auf einem leichten Erholungskurs. Sie stiegen nach einem starken Einbruch 2022 im vergangenen Jahr um 11 Prozent. Konkret haben 965 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet. Dies sind 96 mehr als 2022 und entspricht 11,4 Spendern pro Million Einwohner. Insgesamt wurden 2.877 Organe (2022: 2.662) entnommen. Das waren 8,1 Prozent mehr als im Vorjahr. Dazu zählten 1.488 Nieren, 766 Lebern, 303 Herzen, 266 Lungen, 52 Bauchspeicheldrüsen und 2 Därme. Gleichzeitig stehen in Deutschland knapp 8.400 Menschen auf den Wartelisten für eine Transplantation.
Deutschland ist Teil des Eurotransplant-Verbundes, in dem acht Länder zusammenarbeiten: Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Ungarn und Slowenien. In diesem Einzugsgebiet leben circa 137 Millionen Menschen. Es gibt ein gemeinsames Spender-Meldesystem und eine zentrale Warteliste. Deutschland profitiert derzeit von diesem Verbund; es werden in der Bundesrepublik mehr Organe zugeteilt als gewonnen. 2023 wurden in Deutschland 2.985 Organe nach postmortaler Spende aus dem Eurotransplant-Verbund übertragen (2022: 2.795).
Entnahmekrankenhäuser sind Krankenhäuser, die über Intensivbetten beziehungsweise Beatmungsbetten verfügen. Derzeit sind es rund 1.250 Kliniken. Sie sind verpflichtet, den Hirntod aller möglichen Organspender festzustellen und an die zuständige Koordinierungsstelle zu melden. Jedes Entnahmekrankenhaus muss mindestens einen Transplantationsbeauftragten bestellen, der den Gesamtprozess der Organspende koordiniert.
Organe dürfen in Deutschland nur in dafür zugelassenen Zentren übertragen werden. Derzeit gibt es rund 45 Transplantationszentren. Sie übernehmen nicht nur die Operationen, sondern kümmern sich um die Patientennachsorge sowie die psychische Betreuung der Betroffenen vor und nach der Transplantation.
Kriterium für eine Organentnahme ist der Hirntod. Er muss von mindestens zwei besonders qualifizierten Ärzten unabhängig voneinander festgestellt werden. Als Hirntod wird der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Groß- und Kleinhirns sowie des Hirnstammes bezeichnet.
Die Spende, Entnahme, Vermittlung und Übertragung von Organen, die nach dem Tod oder zu Lebzeiten entnommen werden, regelt das Transplantationsgesetz (TPG). Es ist seit 1. Dezember 1997 in Kraft und wurde seitdem mehrfach geändert. Ziel war es, die Abläufe und Strukturen in den Entnahmekrankenhäusern und Transplantationszentren zu verbessern und die Finanzierung in den Kliniken zu sichern.
Nein. Seit 1997 gilt in Deutschland eine Zustimmungslösung: Nur wenn der Verstorbene zu Lebzeiten ausdrücklich einer Organentnahme zugestimmt hat, dürfen die Organe auch entnommen werden. Erweitert wird die Regelung dadurch, dass auch die Angehörigen oder vom Verstorbenen dazu bestimmte Personen berechtigt sind, über eine Entnahme zu entscheiden, wenn keine eigene Stellungnahme vorliegt.
Parlamentarier mehrerer Parteien wollen das Thema am Donnerstag erneut in den Bundestag bringen. Die Abgeordneten wollen – wie viele Ärzteverbände auch – die Zustimmungslösung durch eine Widerspruchslösung ersetzen. Dann wäre jeder Bürger automatisch ein potenzieller Organspender – außer, er hat ausdrücklich widersprochen. Laut Gesetzentwurf ist allein der Wille der möglichen Organ- oder Gewebespender entscheidend. Dem nächsten Angehörigen stehe kein eigenes Entscheidungsrecht zu, es sei denn, der mögliche Spender sei minderjährig und habe keine eigene Erklärung abgegeben. Zur Klärung der Spendenbereitschaft soll der nächste Angehörige jedoch darüber befragt werden, ob ihm ein schriftlicher Widerspruch oder ein der Entnahme entgegenstehender Wille des möglichen Organ- oder Gewebespenders bekannt ist.
2020 hatte das Parlament eine Widerspruchslösung abgelehnt. Der erneute Anlauf wird am Donnerstag in Erster Lesung behandelt; wegen der vorgezogenen Neuwahlen sind die Chancen allerdings gering, dass das Gesetz noch verabschiedet wird.
Befürworter versprechen sich davon mehr Organspenden. Sie verweisen darauf, dass die grundsätzliche Bereitschaft zur Organspende in der Bevölkerung hoch ist. De facto scheitern viele Spenden aber bislang daran, dass kein schriftlicher Wille vorliegt und die Angehörigen dann vor einer Zustimmung zurückschrecken. Kritiker verweisen darauf, dass im deutschen Gesundheitswesen jeder noch so kleinste Eingriff der ausdrücklichen Zustimmung des Patienten bedürfe. Dieser Grundsatz dürfe auch durch die Organspende nicht durchbrochen werden. Dadurch leide auch das Vertrauen in die Transplantationsmedizin.
Anfang 2020 wurde deshalb das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende verabschiedet. Die Bürger sollen bei Behördenkontakten – etwa beim Ausstellen eines Ausweises oder Führerscheins – verstärkt mit dem Thema Organspende konfrontiert werden. Außerdem sollen Krankenkassen, Arztpraxen, Ausweisstellen und Fahrschulen immer wieder beraten und informieren. Darüber hinaus hat im März ein bundesweites Online-Register zur Organspende seine Arbeit aufgenommen. Bürger können hier ihre Haltung zur Organ- und Gewebespende dokumentieren und jederzeit ändern.