Mölln. Es war eine Nacht, die das Leben der Menschen in Mölln auf einen Schlag veränderte: Am 23. November 1992 warfen zwei Skinheads kurz nach Mitternacht Molotow-Cocktails in zwei Häuser, in denen türkische Familien wohnten. Die 52-jährige Bahide Arslan, ihre Enkelin Yeliz (10) und ihre Nichte Ayse (14) starben. Neun weitere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.
Am nächsten Mittwoch, 23. November, wird Mölln der Anschläge gedenken. Um 16 Uhr gibt es ein Gebet in der Fatih-Sultan-Moschee. Um 17 Uhr wird ein Gottesdienst in der St.-Nicolai-Kirche gefeiert, zu dem auch die Kulturbeauftragte der Bundesregierung Claudia Roth (Grüne), Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), der türkische Botschafter Ali Kemal Aydin und Bischöfin Kirsten Fehrs erwartet werden.
Boulevard-Presse schnell zur Stelle
Viele Helfer von damals könnten heute noch nicht über die Ereignisse in jener Nacht sprechen, sagt der Möllner Bürgermeister Ingo Schäper. Ursache sei neben dem traumatisierenden Verbrechen auch das Bild der schleswig-holsteinischen Kleinstadt, das damals in der Öffentlichkeit gezeichnet wurde. Ganz Mölln sei in der Berichterstattung als rechtsradikal abgestempelt worden. Die Boulevard-Presse bezeichnete die Stadt als „Ort der Schande“.
„Das hat viele Menschen tief verletzt, denn es stimmte einfach nicht“, sagt Schäper und verweist auf die 120-seitige Dokumentation „39 Tage – Mölln im Herbst 1992“, die der Hobby-Historiker Lothar Obst zum diesjährigen 30. Gedenken an die Anschläge veröffentlicht hat.In seiner Schrift hat Obst Archivbestände von Stadt und Kreis, Einsatzberichte, Vernehmungen der Täter und Interviews von Zeitzeugen ausgewertet.
Sein Fazit: „Die Möllner Bevölkerung hat mit einer beispiellosen Solidaritäts- und Hilfswelle für die Opfer reagiert.“ Noch am Abend des Anschlagstages versammelten sich 6500 Einwohner zu einem spontanen Schweigemarsch. Fünf Tage später gingen in der damals 18.000 Einwohner zählenden Stadt mehr als 12.000 Menschen auf die Straße.
Krimineller Rassismus – schon wieder
Wenige Tage später gründete sich der Verein „Miteinander leben“, der bis heute mit Ausstellungen und Vorträgen in Schulen über Rassismus aufklärt. „Die kriminelle Energie, die hinter dieser rassistischen Tat steckte, hat uns sehr erschreckt“, sagt Vereinsmitglied Antje Buchholz. Sie habe einen dunkelhäutigen Schwager, die Brandanschläge hätten sie persönlich angefasst.
Trotz aller Bemühungen gegen rechts wurde Mölln Anfang September 2022 wieder mit kriminellem Rassismus gegen die türkische Gemeinde konfrontiert. Im Eingangsflur der Moschee „Fatih Sultan Camii“, in der auch eine Familie wohnt, steckten bislang Unbekannte eine Magnetwand mit Flyern in Brand. Verletzt wurde niemand, die Polizei ermittelt noch.
Ersthelfer singt selbst verfasstes Lied
Dass die Anschläge auf Ausländer derzeit bundesweit wieder zunehmen, sei typisch, sagt Obst. Geschichte wiederhole sich. „Wenn die Asylbewerberzahlen, wie jetzt durch den Ukraine-Krieg, steigen, nehmen auch die rechtsradikalen Anschläge zu.“ Bei den Tätern handele es sich oft um gebrochene Existenzen mit rechtsradikalem Gedankengut, die Asylbewerber zum Sündenbock für ihr Scheitern machten.
Ein damaliger Ersthelfer wird in dem Gottesdienst ein selbst verfasstes Lied vortragen. „Ich habe das Lied bereits gehört. Das geht ans Herz“, sagt Pastorin Kerstin Engel-Runge von der Kirchengemeinde Mölln. In dem Lied verarbeitet der Mann seinen Schmerz darüber, dass er es nicht schaffte, das jüngste Opfer, die 10-jährige Yeliz, zu retten. (epd)