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Das gibt’s nur einmal

Der große Festgottesdienst des Kirchentags findet am Sonntag in Wittenberg statt. Aber muss man da wirklich hin? Das ist für viele von uns ja nicht gerade um die Ecke. Margot Käßmann packt uns bei der faulen Haut – „Raus aus dem Sessel, rein in den Zug.“ Schließlich gibt es das nur einmal. Enthusiastisch erklärt die Reformationsbotschafterin, warum es sich auf jeden Fall lohnt, live dabei zu sein.

Foto: Dietmar Silber

Raus aus dem Sessel, rein in den Zug. Zum Gottesdienst, Reformations-Picknick und Konzert in Wittenberg.

Von Margot Käßmann

Oh, ich höre schon wieder all die kritische protestantische Vorsicht. Soll ich am 28. Mai wirklich nach Wittenberg fahren? Da sind doch eh schon so viele Leute. Ist mir viel zu umständlich! Kann ich doch auch im Fernsehen anschauen. Werden schon andere hinfahren.Aber so ein Ereignis können wir als Evangelische doch nicht ignorieren: 500 Jahre Reformation! Da geht es um unsere Wurzeln. Die Freiheit eines Christenmenschen wurde entdeckt. Sünden werden nicht durch die Kirche gegen Zahlung von Geld vergeben, sondern Gott rechtfertigt unser Leben, lange bevor wir etwas leisten. In Fragen des Glaubens und Gewissens ist jeder Mensch frei, Haltung ist gefragt. Die Bibel wurde in unsere deutsche Sprache übersetzt, ja Luther hat diese Sprache erst wirklich geschaffen. Bildung wurde ermöglicht für jeden Jungen, jedes Mädchen. Gebildeter Glaube entstand, bei dem alle selbst nachlesen und fragen dürfen. Wie wichtig ist das in einer Welt, in der Fundamentalismus wächst, der erklärt: Das musst du so glauben, stell keine Fragen. Vielfalt entstand. Kirche besteht nicht durch die Pfarrer und Bischöfe, sondern jeder Getaufte ist nach Luthers Theologie Priester, Bischof, Papst. Das hat langfristig auch der Frauenordination den Weg geebnet. Bei alledem haben wir seit der Reformationszeit gelernt. Wir haben den Antijudaismus Luthers überwunden. Wir sind heute mit weitem ökumenischen Herzen aufgestellt. Und wir haben begriffen, dass unsere Kirche nur eine „Provinz der Weltchristenheit“ ist. Wenn das kein Grund zum Feiern ist! Ab 10 Uhr gibt es am Sonntag eine Einstimmung mit Gesprächen und Interviews. Um 12 beginnt der große Festgottesdienst, bei dem der anglikanische Bischof Thabo Makgoba (Südafrika) predigen wird. Das finde ich ein schönes Symbol dafür, dass wir 2017 eben nicht deutsch-national und protestantisch abgrenzend feiern, sondern international und ökumenisch. Und wir kommen zusammen unter dem Motto: Von Angesicht zu Angesicht. Ich finde das sehr anregend. Einerseits geht es darum, im Angesicht Gottes miteinander zu singen und zu beten. „Du bist ein Gott, der mich sieht“ (1.Mose 16,13), so hat es Hagar formuliert, als der Engel Gottes ihr Mut macht auf ihrer Flucht, schwanger und allein in der Wüste.Und wir begegnen einander von Angesicht zu Angesicht. Eben nicht virtuell, sondern von Mensch zu Mensch. Das ist die Stärke eines Gottesdienstes in einer digitalen Welt: Junge und Alte, Männer und Frauen, Menschen verschiedener Herkunft und Konfession begegnen sich. Wir werden Brot und Wein teilen „zu seinem Gedächtnis“. Danach folgen Grußworte und ein großes Reformationspicknick auf der Wiese, bevor um 16.30 Uhr ein Festkonzert beginnt mit Judy Bailey, Konstantin Wecker und anderen. Sie können gehen. Sie können bleiben. Alles ist organisiert.Ich finde, wir sollten alle miteinander ein Zeichen setzen am 28. Mai: Unsere Tradition ist uns etwas wert! Wir wissen, was wir der Reformation zu verdanken haben. Und sie ist für unser Land etwas wert. Da sind alle gefragt. An der Logistik wird es nicht liegen. Alle zehn Minuten fährt kommenden Sonntag ein Zug von Berlin nach Wittenberg und auch zurück! Also, liebe evangelische Berlinerinnen und Berliner: Raus aus dem Sessel, rein in den Zug, auf zum Gottesdienst auf der Festwiese vor der Silhouette Wittenbergs. Das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder! Und wenn Katholiken, Orthodoxe, Mennoniten, Baptisten und auch Neugierige ohne Religion dazu kommen, freuen wir uns umso mehr. Wir feiern 500 Jahre Reformation – da muss der Mensch doch dabei gewesen sein![lt]

Änderung! Margot Käßmann auf dem Kirchentag: Bibelarbeit, Do, 9.30 neuer Ort: City Cube, Ebene 2, Halle B, Messe + Predigt im Gottesdienst Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens. Do, 12 Uhr, Zionskirche, Zionskirchplatz, Mitte + Frauen gestalten Religion und Politik, + Frauenmahl, Do, 19.30 Uhr, Kosmos, Karl-Marx-Allee 131 A, Friedrichshain