Stolz zeigt der elfjährige Franchesco Goicochea seinen Astronautenanzug aus Pappkarton. Zum Tag der Astronomie in Chile haben Schüler der Valentin-Letelier-Schule in Santiago eine Ausstellung vorbereitet. In den Augen der Kinder und ihrer Lehrerin Paloma Cisterna spiegelt sich Begeisterung – und der Stolz darauf, dass Chile weltweit die besten Bedingungen bietet, um ins All zu blicken. Doch neue Projekte zur Produktion von grünem Wasserstoff könnten diese Spitzenstellung gefährden.
Sinnbild des chilenischen Astronomie-Booms ist das Extremely Large Telescope (ELT) – ein Gigant mit wenig kreativem Namen, den die Europäische Südsternwarte (ESO) derzeit in der Atacamawüste errichtet. Eine Milliarde Euro kostet der Bau, der schon jetzt größer ist als das Kolosseum in Rom. Im März besuchte auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Baustelle.
Deutschland ist Hauptfinanzier der ESO, einem Forschungsverbund, der mehrere Observatorien in Chile betreibt. Bei seinem Besuch lobte Steinmeier die wissenschaftliche Exzellenz – und betonte: „Wenn Forschung auf diesem Niveau bleiben soll, muss der Standort dauerhaft vor Lichtemissionen geschützt werden.“
Denn das Megaprojekt könnte schon vor der Eröffnung nutzlos werden. Nur 20 Kilometer entfernt plant ein privates Unternehmen, auf 30 Quadratkilometern mit Solarenergie grünen Wasserstoff zu produzieren. Mit einem Investitionsvolumen von zehn Milliarden Dollar ist das Projekt Teil eines der wichtigsten Zukunftszweige der chilenischen Wirtschaft. Schon im Jahr 2030 möchte Chile der weltweit größte Wasserstoffexporteur werden.
Doch die dabei entstehenden Lichtemissionen könnten den Nachthimmel so stark aufhellen, dass präzise Himmelsbeobachtungen kaum mehr möglich wären, warnt die Astronomin und Präsidentin der chilenischen Gesellschaft für Astronomie, Chiara Mazzucchielli. Derzeit sind die Bedingungen hingegen fantastisch: Die extreme Trockenheit in der Atacamawüste im Norden Chiles, die Möglichkeit, dort bis zu 5.600 Meter über dem Meeresspiegel zu bauen, und die fast unbesiedelte Region mit wenig Lichtverschmutzung machen die Gegend zu einem idealen Standort für astronomische Beobachtungen, erklärt Mazzucchielli.
Auch die Regierung sieht das so: Im Juni 2024 erklärte Präsident Gabriel Boric Chile zur „Welthauptstadt der Astronomie“. Mit gezielter Flächenvergabe und Schutzklauseln für den Nachthimmel hat das Land 40 Prozent der weltweiten Sternwartenkapazitäten im Norden des Landes konzentriert. Bis 2030 soll dieser Anteil sogar auf 70 Prozent steigen. Zehn Prozent der Beobachtungszeit müssen internationale Einrichtungen zudem chilenischen Forschungsinstitutionen überlassen.
Warum gefährdet die Regierung also nun ihr eigenes Erfolgsmodell? Vieles deutet auf Planungsversagen hin, das zu einer Überlappung der für die Vorhaben nötigen Flächen führte. In beiden Projekten geht es um enorme Investitionsvolumen, die Chile braucht.
Offiziell äußerten sich die zuständigen Stellen bisher nicht. Ende März kündigte das Wissenschaftsministerium immerhin die Gründung einer international besetzten Kommission an. Diese soll ein Dekret erarbeiten, das Sternwarten künftig besser vor Lichtverschmutzung schützt. Bereits im Januar 2026 soll es in Kraft treten – ein enger Zeitplan, der zeigt, wie akut das Problem ist.
Zurück in Santiago: In der lichtdurchfluteten Hauptstadt sind nachts kaum Sterne zu sehen. Lehrerin Cisterna sorgt sich um das Bewusstsein der Bevölkerung. „Wir haben so viele Schätze: unsere Sterne, unser Wasser, unsere Natur“, sagt sie. Aber vielen Menschen, gerade in den großen Städten, sei das kaum bewusst. Die aktuelle Bedrohung habe zumindest dazu geführt, dass vielen klar werde, welche Rolle ihr Land in der Astronomie innehabe.