Artikel teilen:

“Charlie-Hebdo”-Überlebender präsentiert Comic zu NS-Raubkunst

“Zwei weibliche Halbakte” heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die bewegte und bewegende Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet.

Es ist ein besonderer dramaturgischer Kniff, mit dem der französische Zeichner Rénald Luzier alias Luz seine Graphic Novel “Zwei weibliche Halbakte” beginnt. Die Leserinnen und Leser können dem Künstler Otto Mueller quasi über die Schulter schauen, wie er 1919 in Berlin die ersten Pinselstriche für sein gleichnamiges Werk setzt. Die Sprechblasen dazu geben einen Dialog zwischen Mueller und seiner Muse Maschka wider. Das Ganze liest sich zunächst heiter – und gewinnt doch bald einen doppelten Boden, zunächst allerdings nur mit Blick auf das Verhältnis von Männern und Frauen in der Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Die weitere Geschichte des Bildes, die Luz in seinem seit Montag auf Deutsch erhältlichen Comic in Szene setzt, nimmt einen dramatischen Verlauf, und das auf verschiedenen Ebenen. Mueller stirbt am 24. September 1930 an Tuberkulose. Sein Gemälde hat der jüdische Sammler Ismar Littmann gekauft und fügt es in seine knapp 6.000 Werke umfassende Sammlung ein. 1933 kommen die Nationalsozialisten an die Macht in Deutschland; im Jahr darauf nimmt sich Littmann aufgrund antisemitischer Repressalien das Leben.

1935 beschlagnahmt die Gestapo das Gemälde, als “kulturbolschewistische Darstellung[en] pornographischen Charakters”. Der Halbakt wird zusammen mit anderen heute weltberühmten Gemälden 1937 in der berüchtigten Ausstellung “Entartete Kunst” in München ausgestellt. Er habe sich viel mit der Münchner Ausstellung beschäftigt, so Luz. Dort seien Kunstwerke buchstäblich zu Feindbildern gemacht worden. “Darin sehe ich eine Parallele zu meinen eigenen Erfahrungen. Deshalb wollte ich die Geschichte eines der Bilder aus dieser Ausstellung erzählen, die unfreiwillig zur beeindruckendsten Zusammenstellung von Malerei des 20. Jahrhunderts geworden ist.”

Mit seiner Graphic Novel habe er zeigen wollen, “dass wir alle genauso von der Geschichte hin- und hergeworfen werden wie jedes andere Objekt.” Denn auch das gehört zur Historie hinter der Graphic Novel, die in diesem Jahr auf dem Festival International de la Bande Dessinée d”Angoulême den begehrten Fauve d’Or für das beste Comic-Album erhielt: Für den Zeichner Luz wurde die Arbeit an “Zwei weibliche Halbakte” zu einer Auseinandersetzung mit seinem eigenen Schicksal.

Ab 1992 war Luz festes Redaktionsmitglied des französischen Satiremagazins “Charlie Hebdo”. Dem islamistischen Anschlag am 7. Januar 2015 entging er nur per Zufall: Er hatte verschlafen und kam deswegen zu spät zur Redaktionssitzung. “Ich wollte auch das verarbeiten, was mir 2015 widerfahren ist, aber ich wollte mich nicht selbst zeichnen”, sagte Luz jetzt bei der Vorstellung der deutschen Version in Köln. Ihm gehe es da ein wenig wie dem Bild von Otto Mueller: “Ich bin jemand, der überlebt hat, aber der ein wenig außerhalb der Gesellschaft steht.”

Während der Arbeiten an dem Comic tat sich zudem eine weitere Ebene auf, wie der 53-Jährige erzählt. Eigentlich habe er den Aufstieg der extremen Rechten als historisches Sujet aufgegriffen. “Aber vor einem Jahr, bei den Europawahlen, ist mir klar geworden, wie aktuell das alles ist.” Vielleicht ist da ein Grund, warum seine Graphic Novel in Frankreich so viele Leserinnen und Leser gefunden hat.

Die Geschichte von Muellers Gemälde ging nach 1937 weiter. 1939 sollte “Zwei weibliche Halbakte” zusammen mit anderer NS-Raubkunst in Luzern versteigert werden, es fand sich aber kein Bieter. Für einen Betrag zwischen 100-150 US-Dollar wanderte das Bild dann in den Besitz des Kunstsammlers Hildebrand Gurlitt, der es später Josef Haubrich weiterverkaufte. Nach dem Krieg wurde die Sammlung Haubrich dem Wallraf-Richartz-Museum in Köln gestiftet und kam 1976 ins neu gegründete Museum Ludwig.

Erst 1999 stellte sich die Herkunftsgeschichte des Bildes heraus. Das Gemälde wurde an die Tochter von Ismar Littmann, Ruth Haller, restituiert und 2000 wieder zurückerworben. Im Museum Ludwig können es Besucher bewundern. Dort fand auch die Pressekonferenz zum Verkaufsstart von Rénald Luziers Comic in Deutschland statt.