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Bürger zweiter Klasse

UK 21/2016, Israel/Palästina (Seite 4: „Weltkirchenrat protestiert gegen Schikane in Israel“)
Die Festnahme der ÖRK-Mitglieder erinnert mich an Zeiten der ehemaligen DDR. Der Bericht schließt mit dem Satz: „Kritiker werfen dem Verband eine einseitige propalästinensische Haltung vor, die zuweilen antisemitische Züge annehme.“ Soll mit diesem Satz das Verhalten der israelischen Behörden verständlich gemacht oder gar entschuldigt werden? In diesem vagen Satz bleibt unerwähnt, wer die Kritiker sind. Es  bleibt auch offen, in welcher Weise der ÖRK eine antisemitische Haltung einnehme.
Ist es bereits „propalästinensisch“, wenn kirchliche Vertreter oder Menschenrechtler auf die vielfältigen Menschenrechtsverletzungen hinweisen, die viele UN-Resolutionen, der UN-Menschenrechtsrat, der Internationale Gerichtshof, UNICEF und andere beklagen? Der frühere israelische Minister Nathan Sharansky hat diejenigen als Vertreter eines „sekundären Antisemitismus“ bezeichnet, die Israel delegitimieren, dämonisieren oder doppelte Standards anwenden.
Dabei delegitimiert Israel sich selbst, wenn es permanent das Völkerrecht verletzt. Bundespräsident Gauck, Bundeskanzlerin Merkel und die EU-Außenbeauftragte Mogherini haben gemäß dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs und in Übereinstimmung mit der internationalen Gemeinschaft  den Siedlungsbau als völkerrechtswidrig bezeichnet. Wendet der Staat Israel nicht doppelte Standards an, wenn für die so genannten Siedler israelisches Recht gilt, für die palästinensische Bevölkerung dagegen Militärrecht, was faktische Rechtlosigkeit bedeutet? Israel wendet doppelte Standards an, indem für Palästinenser mit israelischem Pass innerhalb des Staates Israel mehr als 40 Sondergesetze gelten, womit sie zu Bürgern zweiter Klasse degradiert werden, auch wenn sie Wahlrecht haben.

Dr. theol. Martin Breidert, Bad Honnef, Vizepräsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft, Vorstandsmitglied im Bündnis zur Beendigung der israelischen Besatzung und Sprecher im Koordinationskreis Palästina Israel