Artikel teilen

Brandenburg: Kirche will per Lastenfahrrad ins Gespräch kommen

Vor den brandenburgischen Landtagswahlen haben sich Kirchengemeinden aufgemacht, um Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen. Dabei hilft das Lastenrad „TheodoraD“.

Superintendent des Kirchenkreises Mittelmark Brandenburg Thomas Wische auf dem Lastenfahrrad "TheodoraD"
Superintendent des Kirchenkreises Mittelmark Brandenburg Thomas Wische auf dem Lastenfahrrad "TheodoraD"Uli Schulte Döinghaus

Wenn Thomas Wisch zwischen dem Königshaus und seiner Superintendentur die Proberunden dreht, ist ihm Aufmerksamkeit sicher. Eine Touristenfamilie aus Freiburg im Breisgau unterbricht ihren Spaziergang durch die Klosteranlage Lehnin und schaut zu, teils fasziniert, teils amüsiert, wie der bärtige Mann, Chef des Evangelischen Kirchenkreises Mittelmark-Brandenburg (EKMB), ein Lastenfahrrad im Kreis bugsiert.

Aufmerksam lesen sie die Aufdrucke auf dem Mini-Container des dreirädrigen Elektromobils. „Interessantes Konzept“, sagt der Besucher. Seine Ehefrau nickt, während Beate Lindauer, sie ist EKMB-Öffentlichkeitsarbeiterin, kurz erklärt, was es mit dem Lastenrad namens „TheodoraD“ vor der frommen Kulisse des Klosters Lehnin auf sich hat.

Kirche will mit Lastenfahrrad Dialoge ermöglichen

Das Dreirad ist zurzeit ein Mottogefährt, das künftig durch den Kirchenkreis westlich von Potsdam rumpelt. „Auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, lasst uns darüber sprechen“, steht auf der Kiste. In deren Inneres passt theoretisch alles, was eine anständige Gesprächskultur beflügeln könnte, entweder rund 20 Thermoskannen für Kaffee und Tee, vielleicht ein halbes Dutzend Kästen Bier oder Limo, knapp 300 Bibeln im Taschenbuchformat beziehungsweise 500 broschierte Grundgesetze oder ein paar Klappstühle.

Unter dem Dach der berlin-brandenburgischen Diakonie und der EKBO ist „Zusammen streiten“ unterwegs, eine Initiative, die Inhalte im und auf dem „TheodoraD“ beisteuert. Sie plädiert dafür, miteinander zu reden. Gerade im brandenburgischen, thüringischen und sächsischen Superwahljahr gehe es darum, einzubeziehen statt auszugrenzen.

Raus aus der eigenen Blase

Das soll einerseits auf klassische Weise passieren, „Demokratietag“, Ausstellungen, runde Tische, politische Salons und so weiter. Dort erreicht man aber oft „nur“ die, die man sowieso erreicht. Mit allen anderen will man jetzt auf Märkten und Plätzen, vornehmlich im Kirchenkreis Mittelmark-Brandenburg, ins (Streit-)Gespräch kommen und rund um das Lasten-Bike „TheodoraD“ evangelische Präsenz zeigen. „Wir müssen raus. Wir müssen mit den Leuten sprechen“, das war das Leitmotiv, als „TheodoraD“ erfunden wurde.

Überparteilichen und „weltlichen“ Einsatz für Demokratie und Vielfalt, Menschenwürde und Anstand kennt Superintendent Wisch aus Erfahrung. Ehrenamtlich leitet er ein brandenburgweites „Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Rassismus“, wo er davor warnt, dass Rechtsextremismus in Brandenburg zum politischen Alltag wird. EKMB-Präses Stefan Köhler-Apel sekundiert „seinem“ Superintendenten: „Wir müssen klarmachen, dass es sich lohnt, eine demokratische, vielfältige und tolerante Gesellschaft zu bewahren.“

Unterschiedliche Positionen in Brandenburg zulassen

Zahlreiche Kirchengemeinden und diakonische Initiativen hätten sich in Brandenburg im Sinne des Aktionsbündnisses auf den Weg gemacht, sagt Thomas Wisch, meist in Klein- und Mittelstädten, aber auch in dörflichen Gemeinschaften. Besonders dort befürchte man einen Niedergang des Zusammenhalts. Pfarrerinnen und Pfarrer berichten von Geburtstagsbesuchen, wo es mittlerweile heikel sei, bestimmte (politische oder gesellschaftliche) Themen anzusprechen, weil sie Familien zerfetzt.

Wie schaffen wir wieder Gesprächsformate, wo es einen Austausch gibt, wo wir verschiedene Positionen zulassen? Das war die Frage. Eine der Antworten könnte das Theodorad sein, das ab sofort durch die Dörfer und Städte rollt.

Demokratie ist nicht selbstverständlich

Vielfalt und christlicher Anstand seien nicht nur hypothetisch gefährdet, befürchten Christen, die sich in Initiativen der Zivilgesellschaft engagieren, sondern durchaus konkret. Wer rechtsradikale Parteiprogramme liest und völkische Redebeiträge analysiert, der muss um den (finanziellen) Bestand von sozialen und kulturellen Initiativen (auch unter kirchlichem Dach) fürchten, denen das rechte Lager, sollte es an die Regierung kommen, die staatliche Förderung entziehen könnte. Auch dagegen macht sich Widerstand breit.

Nach der friedlichen Revolution hätten viele gedacht, dass ihnen die Demokratie in die Herzen fällt, einfach so. „Das war ein großer Denkfehler“, sagt Christiane Schulz. Demokratie könne in der Praxis nervig, kleinteilig und widersprüchlich sein, fehleranfällig und zeitraubend. Politische Bildung sei zu kurz gekommen, wenn 35 Jahre nach der Wende viele eine Sehnsucht nach dem starken Mann und einer Autokratie à la Russland formulieren.

Pfarrerin Schulz leitet den diakonischen Träger ESTARuppin in und um Neuruppin, und sie ist zugleich verantwortlich für die Evangelische Erwachsenenbildung des Kirchenkreises Wittstock-Ruppin, die vom Land Brandenburg finanziert wird. In dieser Eigenschaft ist sie stets bereit, Gesprächsforen anzubieten, etwa politische Salons, so auch demnächst kurz vor den brandenburgischen Wahlen und kurz danach. Alle sind eingeladen, viele kommen regelmäßig. Rechtsextreme Sympathisanten und Wähler hingegen lassen sich nicht blicken. „Schade,“ sagt Christiane Schulz, „eigentlich fände ich es gut, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.“

Gemeinden engagieren sich für Gemeinwesen

Das Gespräch scheitert vielleicht auch daran, dass sich die andere Seite in ihrer Blase zuhause fühlt, wie der Politikwissenschaftler Florian Spissinger glaubt. Seine lesenswerte Doktorarbeit „Gefühlsgemeinschaft der AfD. Narrative, Praktiken und Räume zum Wohlfühlen“ zeigt auf, weshalb es schwierig ist, Menschen, die sich bereits wie selbstverständlich in der neurechten Gefühlswelt bewegen, „zurückzugewinnen“.

Landauf, landab melden sich jetzt vor den brandenburgischen Wahlen evangelische Kirchengemeinden zu Wort, etwa in aktuellen Gemeindebriefen. Einige Gemeinden belassen es nicht bei Aufrufen und Ermunterungen, sondern organisieren demokratische Feste und öffentliche Veranstaltungen in ihrem Gemeinwesen mit.

In der Kirche mit Rechtsextremen reden?

Zu ihnen gehört auch Finsterwalde mit Pfarrer Markus Herrbruck. Dort haben sich mehrere private und kirchliche Veranstalter zu einer Initiative „Finsterwalder Tage der Demokratie und Vielfalt“ zusammengeschlossen, um Anfang September vier Veranstaltungen zu organisieren. „Wir wollen jedem ermöglichen, sich in Sachen Demokratie zu beteiligen“, sagt Pfarrer Markus Herrbruck stellvertretend für die Initiative. Herrbruck deutet im Gespräch aber auch ein Dilemma an. Sollen Kirchengemeinden als „neutrale“ Moderatoren allen, auch den Völkischen, ein Podium bieten? „Einige sagen, eure Aufgabe ist es, in dieser zerstrittenen und verklüfteten Gesellschaft, jetzt die Leute an einen Tisch zu bringen.“

Davor warnte neulich der Cottbusser Studentenpfarrer Lukas Pellio in der Südwestpresse: „Wenn rechtsextreme Positionen in kirchlichen Räumen geäußert werden können, erweckt das den Eindruck, als bewerteten Kirchen das als legitime Position.“

Vielleicht haben beide recht. Kaum jemand versteht sich als Moderator, der völkische Funktionäre einlädt, ihre Hassreden vor Kirchen oder in Gemeindesälen zu halten. Aber irritierte Bürgerinnen und Bürger (wieder) mit ihren Nachbarn ins Gespräch zu bringen, das haben sich viele evangelische Kirchengemeinden vorgenommen – neuerdings auch auf drei Rädern. Per „TheodoraD“.