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Biden hält Rede gegen Antisemitismus – und für Meinungsfreiheit

Joe Biden hat in einer Grundsatzrede im US-Kongress Antisemitismus in allen Formen verurteilt. Der US-Präsident bezog Position in einer brisanten politischen Lage. Eine Gratwanderung für den Demokraten.

Der lebenslange Israel-Freund im Weißen Haus findet sich zwischen allen Stühlen wieder. Zuhause steht US-Präsident Joe Biden im Wahljahr unter Druck der Studentenproteste gegen den Gaza-Krieg. Viele Demonstrierende stammen aus dem linken Lager, dessen Stimmen er im November dringend braucht. Vor allem in Wechselwähler-Staaten, wo ein paar Tausend verlorene Stimmen an den Universitätsstandorten über Sieg und Niederlage entscheiden können.

In Israel hat Biden es mit einer Rechtsaußen-Regierung zu tun, deren Chef Benjamin Netanjahu seine Appelle zur Mäßigung weitgehend ignoriert. Der US-Präsident hat explizit vor einer Invasion in Rafah im Süden des Gazastreifens gewarnt. Von einer “roten Linie” ist die Rede, die Israel nicht überschreiten dürfe. Gleichzeitig richten die Amerikaner eine Versorgungsbrücke für die Zivilbevölkerung in Gaza vom Meer aus ein, weil sie Netanjahu nicht trauen.

Umso erstaunlicher finden es amerikanische Analysten, wie deutlich sich der US-Präsident in seiner Grundsatzrede zum Gedenken an den Holocaust am Dienstag positionierte. Auf Einladung des U.S. Holocaust Memorial Museums beklagte er im US-Kapitol den Judenhass, der niemals richtig verschwunden sei. “Er versteckt sich bloß, und sobald er ein wenig Sauerstoff bekommt, kriecht er unter den Felsen hervor.”

Biden stellte einen Zusammenhang her zwischen dem Antisemitismus der Nazis und dem der Hamas. Und der Oberflächlichkeit im Umgang damit. Während der systematische Mord an sechs Millionen Juden durch die Nazis mehr als 75 Jahre zurückliege, habe es nur siebeneinhalb Monate gedauert, “bevor die Leute den Terror der Hamas schon vergessen haben”. Die Islamisten-Miliz hatte bei ihrem brutalen Überfall am 7. Oktober 2023 mehr als 1.200 Menschen getötet.

Vor Holocaust-Überlebenden und Vertretern des jüdischen Lebens in den USA versprach der Präsident: “Ich habe das genauso wenig vergessen, wie Sie.” Die Verantwortung für den aktuellen Konflikt trage die Hamas. Die Konsequenzen: Israel hat bei seiner militärischen Antwort mehr als 34.000 palästinensische Zivilisten getötet und Gaza in eine humanitäre Katastrophe gestürzt.

Angesichts der Proteste an Dutzenden Universitäten, die in den vergangenen Tagen zu mehr als 2.500 Festnahmen geführt haben, beschritt Biden einen schmalen Grat. Er verteidigte in seiner Grundsatzrede die Redefreiheit der Demonstranten. “Menschen haben sehr starke Meinungen über das, was auf der Welt geschieht”, sagte Biden. Und die Amerikaner hätten ein Recht auf “friedliche Proteste”.

Die Grenze sei allerdings überschritten, wenn jüdische Studentinnen und Studenten “auf dem Weg zu ihren Vorlesungen blockiert, belästigt oder angegriffen werden”. Weder an den Hochschulen noch irgendwo sonst in Amerika dürfe es “Raum für Antisemitismus oder Hetze oder die Androhung von Gewalt gegen Juden oder wen auch immer geben”.

Klare Worte eines Israel-Freunds, der seit Golda Meir jeden Regierungschef in Tel Aviv persönlich kennengelernt hat. Mit mehr als 4,2 Millionen Dollar an Spenden pro-israelischer Gruppen gehörte Biden laut Datenbank der Organisation Open Secrets im Senat zu den größten Empfängern.

Der ehemalige Nahostberater von Ex-Präsident Barack Obama, Dennis Ross, sagt, Biden habe in seiner Karriere oft Brücken gebaut. “Seine Verpflichtung gegenüber Israel war stark und diese Instinkte lassen sich jetzt beobachten.” Bei seinem Solidaritätsbesuch in Israel nach dem Terroranschlag der Hamas sagte der Katholik Biden vor dem israelischen Kabinett: “Ich muss kein Jude sein, um Zionist zu sein.”

Dass Netanjahu den Amtsinhaber und vor allem auch dessen jüdischen Außenminister Anthony Blinken immer wieder auflaufen lässt, vereinfacht seine Position in den USA nicht. Er versicherte in seiner Grundsatzrede, “die Sicherheit Israels und sein Recht, als unabhängiger Staat zu existieren, zu verteidigen, selbst wenn wir anderer Meinung sind”. Und Antisemitismus sei niemals akzeptabel.

Seit dem Überfall der Hamas stieg die Zahl antisemitischer Übergriffe in den USA laut der jüdischen Anti-Defamation League auf 3.283 Fälle – eine Zunahme um 361 Prozent.