Beten und gedenken, egal wo
Seit nunmehr einem Jahr schreiben die Menschen, die die täglichen Andachten in der Gethsemanekirche in Berlin-Prenzlauer Berg gestalten, auch eine Wochenandacht, für diejenigen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht in die Kirche kommen können. Diese Andachten sind über einen QR-Code oder im Internet zu finden. Über diese Einladung zur gemeinsamen Online-Andacht hat Karola Kallweit mit?Ingrid Thomas aus dem Gemeindebeirat gesprochen.
Frau Thomas, warum und für wen gibt es diese Wochenandachten?
Als im Juli 2017 unser Gemeindemitglied Peter Steudtner in der Türkei verhaftet wurde, fanden schon unmittelbar danach die ersten Fürbittandachten in unserer Kirche statt. Auch nach nun mehr als vier Jahren ist es uns wichtig, unser tägliches Gebet für politisch Verfolgte und inhaftierte Menschen fortzusetzen. Die Wochenandacht entstand im Corona-Lockdown im März 2020. Plötzlich konnten wir nicht mehr zusammen beten. Daraus folgte der Gedanke, unser Gebetsanliegen wöchentlich zu formulieren und dieses sowohl digital auf unserer Webseite wie auch in Druckversion für alle Interessierten zur Verfügung zu stellen. Auch als es im Sommer 2020 wieder möglich war, in der Kirche gemeinsam zu beten, entschlossen wir uns, die Wochenandachten fortzuführen. Viele trauten sich zum damaligen Zeitpunkt aufgrund der Corona-Pandemie noch nicht in die Gemeinschaft.
Wer sind die Menschen, über die sie in den Andachten schreiben?
Wie in den täglichen Andachten richten wir unseren Schwerpunkt auf Menschen, die sich für Frieden, Menschenrechte und die Bewahrung der Schöpfung einsetzen und dadurch verfolgt und inhaftiert wurden. Das betrifft sowohl Menschen aus der Türkei, Belarus, China, Kuba wie auch aus vielen anderen Regionen dieser Welt. Wir berichten über ihre Schicksale und beten für ihre Freilassung. Das sind zum Beispiel der kurdische Journalist Nedim Türfent, die belarussische Aktivistin Maria Kolesnikowa oder das Schicksal der Uiguren in China. Die kurdische Sängerin Hozan Canê und ihre Tochter Gönül Örs konnten nach ihrer Haft endlich im Frühsommer nach Köln zurückkehren. Wir schrieben Briefe ins Gefängnis und erkennen aus den Antworten, wie berührt und gestärkt Menschen im Gefängnis sind, wenn sie erfahren, dass ihr Name im Gebet am anderen Ende der Welt genannt wird.
Können Sie sich vorstellen, dass diese „QR-Code“-Andachten bleiben? Wie wird das Angebot angenommen?
In den letzten Wochen haben wir überlegt, ob diese Form unseres politischen Gebetes noch „nötig“ sei. Wir haben uns entschieden, sie fortzuführen. Vielleicht stellt sich für uns die Frage neu, wenn die Kirche wieder ohne jegliche Einschränkungen, so wie vor März 2020, genutzt werden kann. Mittlerweile steht in diesen Tagen die 81. Wochenandacht zur Verfügung. Wir gehen davon aus, dass durch den Hinweis auf den QR-Code mehr Menschen sich noch leichter über unsere Gebetsanliegen informieren können und daran Interesse zeigen. Wir können so mit vielen Menschen verbunden sein, jede und jeder kann an jedem Ort mitbeten. Die Rückmeldungen dafür sind durchweg positiv.
Wo sehen Sie Anknüpfungspunkte zu heutigen Jugendbewegungen oder jungen Aktivist*innen?
Unsere Wochenandachten richten sich an alle Menschen, alters- und konfessionsunabhängig. Besonders Jugendliche sind von Idealen und menschlichen Werten motiviert politisch aktiv. So wie die Bewegung „Fridays for Future“ viele Menschen aufgerüttelt hat, steht auch in unseren Gebeten der Blick auf die Bewahrung der Schöpfung mit im Vordergrund.