Wie hält man es heute mit der Aufklärung? Im Deutschen Historischen Museum zeigt die Ausstellung “Was ist Aufklärung?”, dass Ambivalenz durchaus angemessen ist. Die Aufklärer selbst waren widersprüchlich.
Das Deutsche Historische Museum zeigt ab Freitag die Ausstellung “Was ist Aufklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert” und trägt damit eine Frage, die bereits damals von verschiedenen Denkern gestellt wurde, zu den Debatten der Gegenwart. Das ist jedenfalls der eigene Anspruch. Es sei wichtig, dass man an bestimmten Punkten wieder in ein “Zeitalter der Aufklärung” hineinkomme, sagte der Präsident des Museums, Raphael Gross, am Mittwoch in Berlin.
“Dabei geht es in Europa kaum mehr darum, sich vom Druck religiöser Institutionen und traditioneller Werte zu befreien”, so Gross weiter. Stattdessen gehe es heute darum, eine Form der Öffentlichkeit zu schaffen, die nach Gründen frage. “Etwa für die massiv gestiegene Anzahl antisemitischer Straftaten. Etwa für die rapide Schwächung demokratischer Parteien in Europa und darüber hinaus.”
Ob die Ausstellung dabei eine Inspiration sein kann? Eindrucksvoll ist es in jedem Fall, was die Ausstellungsmacher bis zum 6. April 2025 auf zwei Etagen des Deutschen Historischen Museums präsentieren: 400 zum Teil noch nie gezeigte Objekte. Darunter Originalmanuskripte von Isaac Newton oder eine französische Erklärung der Menschenrechte in Form einer Oblate. Nicht zu vergessen ein “weltweit seltenes graviertes Straußenei”. Dazu jede Menge Büsten, Bücher und Bilder aus der Zeit der Aufklärung.
Doch was bei dieser humanistischen Leistungsschau am meisten fasziniert, ist der kritische Blick, den die Kuratorin Liliane Weissberg schon bei der Konzeption beabsichtigt hatte – ein Sinn für Paradoxien. Denn Paradoxien und Widersprüche boten die Aufklärer des 18. Jahrhunderts Weissbergs Worten nach eine ganze Menge.
König Friedrich II. zum Beispiel, der Voltaire nach Schloss Sanssouci einlud und viel davon hielt, dass jeder nach seiner Facon selig werde, schränkte die Rechte der Berliner Juden peu-a-peu ein. Thomas Jefferson verteidigte in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika die “Gleichheit aller Menschen”, herrschte jedoch über Hunderte von Sklaven. Von Isaac Newton, der vielen als Vorbild eines neuen Wissenschaftlers gegolten habe, so Weissberg, wisse man heute, dass er auch alchemistische Studien betrieben hat.
Fehlte es den Aufklärern also selbst noch an Aufklärung oder begegnet man in ihnen lediglich einem psychologischen Phänomen, das man seit Jahrhunderten auch von religiösen Personen kennt – die Diskrepanz von Wort und Tat, moralischem Anspruch und gelebtem Glauben?
Weissberg versteht die Ausstellung in jedem Fall als eine Art Kaleidoskop, bei dem man zwischen einzelnen thematischen Abschnitten Verbindungen feststellen könne. Was bei Sektionstiteln wie “Pädagogik”, “Staatskunst”, “Fragen der Religion” oder “Ordnung der Welt” sehr reizvoll ist.
Als Beispiel nennt sie den englischen Unternehmer Josiah Wedgwood, von dem eine Keramik in der Sektion “Antike” in der Ausstellung zu sehen ist. Als Gegner des Sklavenhandels habe er mit der Abbildung eines knienden Sklaven ein Protestsymbol seiner Zeit geschaffen – die Medaille der Abolitionisten-Bewegung, die sich für die Abschaffung der Sklaverei einsetzte. Sklavenhändler mit seinen Waren auszustatten, war für Wedgwood aber auch kein Problem, wie Weissberg erläutert.
Auch Goethe, der auf dem Feld der Literatur, der Politik und der Naturwissenschaft brillierte, taucht nicht nur einmal in der Ausstellung auf. In guter europäischer Gesellschaft, denn dass die Aufklärung eine internationale Bewegung war, wird in “Was ist Aufklärung?” durch die vielsprachigen Exponate mehr als deutlich.
Dass die vermutlich bis heute populärste Antwort auf die Frage, was Aufklärung sei, von einem Deutschen stammt, ist wohl dennoch unbestritten. “Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.” Natürlich darf Immanuel Kant bei der Ausstellung, die sich so um die Vernunft dreht, nicht fehlen.