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Begegnung auf Augenhöhe

Vikarinnen und Vikare aus Westfalen und dem Rheinland waren unterwegs in Südafrika. Das Ziel: Austausch mit Kollegen, Mitarbeitern von Hilfsorganisationen und Zeitzeugen

„Wir können es gar nicht fassen, dass wir hier sind“, sagt Vikarin Nele Kaiser. Fast zwei Jahre lang hatte sie in Kooperation mit der Vereinten Evangelischen Mission und mit ihren beiden Kollegen Moritz Gräper und Hendrik Meisel diese Studienreise nach Südafrike für westfälische und rheinische Vikarinnen und Vikare geplant.  
Das Ziel: Ökumene direkt erleben – diskutieren, nachfragen und einander zuhören. Was sind die Herausforderungen, Schwierigkeiten und Erfolgserlebnisse junger Pfarrerinnen und Pfarrer in Südafrika? „Egal aus welcher Kultur oder welchem Land wir kommen. Glaube verbindet über Grenzen hinweg.“, sagt Kaiser.
An kaum einem Ort der Welt geht die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander. Kaum ein Land hat eine vergleichbar einschneidende gesellschaftliche Transformation erlebt als Südafrika – während der Apartheid und danach. Südafrika stand und steht vor enormen Herausforderungen, die aus der Vergangenheit und Gegenwart resultieren. Das Leben der Menschen in Südafrika ist geprägt von der rassistischen Idee der Apartheit, die eigentlich weit weg von christlichen Idealen sein sollte.
Doch weit gefehlt. „Die Apartheid wurde mit der Bibel in der Hand begründet.“, sagt Vikar Moritz Gräper der gerade über „The Bible and Apartheid“ promoviert hat. Biblische Zitate wurden aus dem Zusammenhang gerissen und für die Legetimierung der Rassentrennung herangezogen. „Gleichzeitig waren christliche Akteure ein wichtiger Teil des Widerstands“, so Gräper weiter.
Deutlich wurde die Politik des Apartheid-Regimes am Beispiel eines ganzen Stadtteils – District 6 in Kapstadt. Hier entwickelte sich ab 1833 und besonders nach dem Zweiten Weltkrieg ein vielfältiges und durchmischtes Quartier. Mit einer Entscheidung der Regierung änderte sich am 11. Februar 1966 alles.
Die Region des „District 6“, die zwischenzeitlich rund ein Zehntel der Bevölkerung Kapstadts beherbergte, wurde zum „Whites-only“-Areal (nur für Weiße) erklärt. Über 30 000 Menschen wurden zwangsumgesiedelt. Steht man heute im multimedial gestalteten „District Six Museum“, wird die Dimension noch einmal deutlich. Menschen werden vertrieben, geschlagen und heimatlos.
Wohin mit den über 30 000 Menschen? An die Ränder der wachsenden Großstadt Kapstadt, in die so genannten Cape Flats. Sie beherbergten fortan an tausende Menschen. Keine Infrastruktur, keine Beschäftigungsmöglichkeiten, dafür viel Raum für Kriminalität und Gangs. Rund 50 Prozent der 80 000 Menschen hier sind arbeitslos. Drogen, Prostitution und HIV Aids sind ein immer gegenwärtiges Thema.
Die christliche Nicht-Regierungsorganisation „New World Foundation“ kämpft dafür, das Leben der Menschen in den Cape Flats nachhaltig zu verbessern. „Eine neue Welt, voll von Hoffnung, Gerechtigkeit und Frieden zu bauen“, das ist ihr Ziel. Es geht darum, eine Gesellschaft zu schaffen und sichere Orte für die Menschen in diesem Stadtteil. Friedensarbeit und gesellschaftliche Entwicklung, die ganz praktisch im Kleinen beginnt.
Mit einer Mittagsbetreuung für Schulkinder, mit einem Kindergarten oder mit Bildungsprogrammen für Frauen, mit Beratungen und Workshops. Die Vereinte Evangelische Mission (VEM) kooperiert seit vielen Jahren mit der „New World Foundation“. Für die Vikarinnen und Vikare zeigte sich, wie wichtig das diakonische Handeln für die christlichen Kirchen in den Kontexten vor Ort ist.
Es sind vor allem die Gespräche, der Austausch mit jungen Pfarrerinnen und Pfarrern der Uniting Reformed Church in Southern Africa und der Rhenish Church South Africa, die vielen Gesprächspartner der verschiedenen Organisationen und die Zeitzeugen im Kampf gegen das Apartheid-Regime, die diese Reise nachhaltig wirken lassen. „Wir sind vielen Menschen begegnet, die gegen die Apartheid gekämpft haben oder bis heute durch sie unterdrückt worden sind“, sagt Nele Kaiser. „So erfuhren wir etwas über einen kleinen Augenblick aus dieser grauenhaften Zeit des Hasses. Möge uns das immer wieder erinnern für eine offene, tolerante und vielfältige Welt einzustehen.“