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Barmherzigkeit als Weg zu den Menschen

Professor Michael Herbst aus Greifswald spricht auf dem Willow Creek-Leitungskongress über Erbarmen und eine zweite Chance zur Evangelisation

HANNOVER – Christliche Barmherzigkeit fällt auf in der Welt. Wenn Gemeinden „kundig helfen“ und „sich selbst investieren“, lasse das die Menschen aufhorchen, sagte der Theologe Michael Herbst bei einem Vortrag auf dem Willow Creek-Leitungskongress in Hannover. Schon in der allerersten Christenheit sei die Gemeinde Jesu bekannt gewesen als Ort der Barmherzigkeit, so der Professor für Praktische Theologie an der Universität Greifswald. Das sei bis heute so.
Herbst verwies auf das Alte Testament, in dessen Regelungen das Erbarmen für den, der in Not gerät und die gerechte Ordnung, die jedem eine faire Chance gibt, festgelegt sei. Auch im Neuen Testament werde ausdrücklich die Hilfe für die Armen eingefordert, so Herbst: „Das alles ist nicht empfohlen, sondern geboten. Das steht nicht zur Verhandlung.“
Herbst warnte dabei auch vor der Gefahr der Überheblichkeit und Selbstrechtfertigung, die die Hilfe für Schwächere mit sich bringe. „Unsere Barmherzigkeit ist ein gefährliches Ding“, sagte er. Nur eine Haltung der tiefen Demut, einer „grundlegenden Bescheidenheit des Geistes“, mache Barmherzigkeit erträglich. „Vor Gott sind alle Armen gleich und alle gleich arm“, so Herbst. „Und wenn wir das nicht sein wollen, ist uns nicht zu helfen.“
Daher müsse auch Barmherzigkeit gelernt sein. Notwendig seien das Wahrnehmen und Einbinden der vorhandenen Ressourcen bei den Hilfsbedürftigen sowie das Einordnen der Dringlichkeit: Unmittelbare Hilfe, persönliche Weiterentwicklung und sozialer Wandel seien die möglichen Stufen. Dabei sei die direkte Hilfe zum Überleben häufig nur die „Spitze des Eisbergs“.
Einen neuen Blick warf Herbst auf die Flüchtlinge, die in vielen christlichen Gemeinden in Deutschland Unterstützung finden. Hier werde der Missionsbefehl aus Matthäus 28, „Gehet hin in alle Welt“, auf den Kopf gestellt, sagte der Theologe. Am Beispiel von Iranern, die in seiner Gemeinde getauft wurden, machte Herbst deutlich, dass Flüchtlinge Gemeinden auch ihrerseits bereichern und verändern können. Er mahnte mit Blick auf Schwierigkeiten bei der Integration, etwa bei Straftaten von Flüchtlingen, zur Geduld, die er als „kleine Schwester der Barmherzigkeit“ bezeichnete. „Barmherzigkeit gilt Sündern, das fängt ja bei uns selbst schon an“, sagte er. „Wir sollten nicht allzu überrascht sein, wenn tatsächlich auch die, die zu uns kommen, Sünder sind.“
Der geistliche Weg, um der  Barmherzigkeit Gottes zu folgen, seien nicht Events, zu denen Menschen eingeladen würden, fasste Herbst zusammen. Vielmehr beginne er damit, „dass wir uns bei Menschen heimisch machen und für sie gute Nachbarn sein wollen, also das Leben mit ihnen teilen.“ Alle Strategien der Missionierung, die er seit 30 Jahren verfolge, hätten nicht zum großen Durchbruch geführt. Statt auf die Suche nach verlorenen Menschen zu gehen, gebe es „elende Streitereien“. Der Weg Jesu führe dagegen zu den Menschen. Darin müsse Kirche ihm folgen, sagte Herbst. UK