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Autor Kristof Magnusson über den Kulturbetrieb und gute Musik

Seit 2002 veröffentlicht Kristof Magnusson Theaterstücke und Romane. “Apokalypse Miau. Eine Weltuntergangskomödie” wurde im März dieses Jahres am Theater Gießen für Deutschland erstaufgeführt. Zu den erfolgreichen Romanen des mehrfach preisgekrönten Schriftstellers gehören “Das war ich nicht” (2010), “Arztroman” (2014) und zuletzt “Ein Mann der Kunst” (2020). Seit kurzem ist Magnusson Stadtschreiber in Bonn. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht der 48-Jährige über alte und neue Musik, Literatur – und ein deutsches Humorproblem.

KNA: Herr Magnusson, bevor wir zum Schreiben kommen, müssen wir übers Musizieren sprechen. Sie haben eine Ausbildung zum Kirchenmusiker absolviert. Wie kam es dazu?

Magnusson: Meine Klavierlehrerin, die auch Kirchenmusikerin war, hat mich damals darauf gebracht. Von allen Arten Musik, die man betreiben kann, hat die Kirchenmusik am meisten zu tun mit Sprache: von der Chorleitung bis zur Begleitung von Liedern im Gottesdienst.

KNA: Haben Sie heute noch Bezüge zur Kirche?

Magnusson: Musikalisch weniger. Ich bin jetzt einfach nur ein normaler Besucher, der vielleicht so alle zwei Monate in einen Gottesdienst geht.

KNA: Von der Kirche zum Kulturbetrieb: Sehen Sie noch Leben in der Branche – oder ist das alles verkrustet und unterfinanziert?

Magnusson: Jeder Autor, der auf Lesereise geht, wird bestätigen können, dass an der Basis unheimlich viel passiert, zum Teil auch ohne große staatliche Förderung. Buchhandlungen, Veranstalter, Vereine mobilisieren halbe Kleinstädte und dann kommen 80 oder 100 Leute in einem ganz kleinen Ort zu einer Lesung und zahlen alle auch noch Eintritt dafür. Wenn man das den Menschen in Italien oder in Island erzählt, schütteln die nur ungläubig die Köpfe. Deswegen würde ich mich davor hüten, das Kulturleben kleinzureden oder es als verkrustet zu bezeichnen. Ich finde es unglaublich lebendig und versuche, ein Teil davon zu sein.

KNA: Naja, aber allein das Gezerre innerhalb der Schriftstellervereinigung PEN, die schließlich zur Gründung des PEN Berlin führte, mutet auf außenstehende Beobachter mitunter doch etwas befremdlich an…

Magnusson: Als eines der Gründungsmitglieder des PEN Berlin muss ich widersprechen. Ich bin regelmäßig zu den Versammlungen des alten PEN gefahren. Einige Autorinnen und Autoren haben das Bedürfnis gehabt, die Arbeit von innen her zu verändern. Aber irgendwann war ein Punkt erreicht, wo das nicht mehr ging. Der PEN Berlin ist aber gerade ein Beispiel dafür, was Kultur bewegen kann. Vor den Landtagswahlen im Osten haben wir rund 40 Veranstaltungen abgehalten, um den Dialog zwischen Publikum und Kulturschaffenden zu fördern. Viele Teilnehmer haben hinterher berichtet, dass sie es sehr positiv fanden, einfach mal ein normales Gespräch führen zu können, ohne dass jemand mit Abbruch oder einer Sprengung der Veranstaltung gedroht hätte.

KNA: Malen wir in Deutschland die Dinge manchmal ein bisschen zu schwarz?

Magnusson: Ja. Man sieht, wohin ein solcher Kulturpessimismus führt. Das spielt nur den Populisten in die Hände. Stattdessen sollten wir lernen, Gesellschaftskritik so zu betreiben, dass wir auch Vorteile und Fortschritte markieren, anstatt nur den Angstmuskel zu trainieren. Ich meine jetzt nicht so ein neoliberales Gerede nach dem Motto: “Ist doch alles super hier!” Ich werbe aber dafür, bewusster hinzuschauen.

KNA: Bis Ende des Jahres sind Sie über das Ferdinande-Boxberger-Literaturstipendium Stadtschreiber in Bonn. Im Sommer waren Sie, ebenfalls mit einem Stipendium, in der Villa Massimo in Rom. Wie wichtig sind solche Angebote für Autoren?

Magnusson: Das ist zunächst einmal eine ganz wunderbare Horizonterweiterung. Tatsächlich hatte ich mich aber schon länger nicht mehr auf Literaturstipendien beworben.

KNA: Warum?

Magnusson: Ach, ich habe mich eigentlich ganz wohl zuhause gefühlt und außerdem gedacht: Für sowas bin ich zu alt. Dann war ich in Rom, fand das sehr schön dort und habe mir gesagt: Einer der ganz wenigen Regionen in Deutschland, an denen ich mich gern länger einfach mal so aufhalten würde, wäre das Rheinland. Meine Großmutter hat ihr Abitur in Andernach gemacht, mein Großvater in Bonn studiert.

KNA: Es gibt also familiäre Bezüge…

Magnusson: Das Rheinland ist eine Gegend, die mich spontan immer wieder anrührt wie es keine andere Gegend tut.

KNA: Was genau zieht sie dorthin – der eigentümliche Mix aus heimelig und verstaubt?

Magnusson: Wenn man es heimelig und verstaubt mag, könnte man sicher hundert andere Gegenden in Deutschland finden. Nein, man spürt einfach, dass es sich um einen Raum handelt, in dem kulturell seit den alten Römern unglaublich viel passiert ist. Die haben im Rheintal schon Wein angebaut. Später kamen dann Adelige und Dichter und haben sich von der Landschaft inspirieren lassen.

KNA: Aber heute…

Magnusson: …ist es vielleicht hier und da etwas heruntergekommen. Aber dann stehe ich an einer Imbissbude in Rüdesheim, bin froh, nicht vom Güterzug überfahren worden zu sein und denke zugleich an Clemens Brentano, Achim von Arnim und andere – während mir die Liedzeile “Warum ist es am Rhein so schön?” durch den Kopf geht. Das ist doch ein Beweis für die Suggestivkraft von Kunst und Kultur.

KNA: Am Rhein spielt auch ihr jüngster Roman “Ein Mann der Kunst”, eine Satire über den Kunstbetrieb.

Magnusson: Ich würde lieber von einem humoristischen Roman sprechen, der auch auf die ulkigen Seiten der Kunstwelt blickt.

KNA: Warum keine Satire?

Magnusson: Satire kommt für mich immer ein wenig von oben herab. Auch wenn das in Deutschland eine wahnsinnig wichtige Form des Humors zu sein scheint. Wahrscheinlich, weil man damit recht haben kann und Satire angeblich auch immer Gesellschaftskritik transportiert. Das macht es vielleicht für die Deutschen gerade aushaltbar: Man gibt sich humorvoll, solange es einen Zweck erfüllt.

KNA: Ihr Vater ist Isländer, Sie haben mehrere Werke aus dem Isländischen ins Deutsche übersetzt. Was zeichnet diese Sprache aus?

Magnusson: Zum Beispiel die große Kreativität bei der Übertragung von neuen Wortschöpfungen ins Isländische. “Computer” heißt dort zum Beispiel wörtlich übersetzt “Zahlenhexe”. Für die Identität der Isländer ist ihre Sprache enorm wichtig. Im übrigen Europa hatte man Musik, bildende Kunst, Burgen, Kirchen. In Island sind die ältesten Gebäude irgendwelche Torfhäuser. Die überleben, wenn es gut läuft, 200 Jahre. Da ist die Sprache das einzige Band, das die Gesellschaft zusammenhält.

KNA: Bei welcher Musik können Sie am ehesten entspannen – bei den Pet Shop Boys, über die Sie vor drei Jahren einen Essay veröffentlicht haben, oder bei Kirchenmusik a la Johann Sebastian Bach?

Magnusson: Das wechselt. Aber zurzeit sind es die Pet Shop Boys. Neil Tennant und Chris Lowe lassen sich immer wieder auf neue Dinge ein und bleiben sich trotzdem unglaublich treu. Auf der einen Seite haben die Pet Shop Boys einen hohen Kunstanspruch – dahinter steckt ja ganz viel Konzeptkunst -, andererseits sind ihre Konzerte ein riesiger Spaß, weil sie es schaffen, die Grenzen zwischen Kunst und Unterhaltung aufzulösen.