Die EU hat ein Problem – immer mehr Menschen aus anderen Teilen der Welt möchten dort leben. Um weiteren Zuzug zu verhindern, greift sie auch zu fragwürdigen Mitteln wie Pushbacks, die nicht zu ihren Werten passen.
Zäune, soweit das Auge reicht. Sie stehen heute an der Grenze zwischen Polen und Belarus, sichern die europäische Außengrenze zwischen Griechenland beziehungsweise Bulgarien und der Türkei und trennen Ungarn vom Nachbarn Serbien. Die Europäische Union versucht, sich damit gegen Migranten und Flüchtende abzuschotten. Eine offene Grenze bleibt: das Mittelmeer. Denn das ersehnte Ziel Europa scheint dort an einigen Orten zum Greifen nah.
Die wachsende Zahl von Schutzsuchenden sorgte zuletzt für Streit in der deutschen Innenpolitik. Nach wochenlangem Zögern stimmte die Bundesregierung dem EU-Asylkompromiss zu, der unter anderem eine sogenannte Externalisierung der Asylverfahren vorsieht: Die Verfahren sollten in Ländern außerhalb der EU durchgeführt werden; nur bei einem positiven Bescheid dürfen die Menschen einreisen.
In der EU spaltet das Thema schon lange. Drei Milliarden Euro ließ sich der Staatenbund 2016 die Vereinbarung mit der Türkei kosten, Geflüchtete an der Überfahrt nach Griechenland zu hindern. Spätestens seitdem ist klar: Die EU ist auf die Unterstützung der Nachbarn rund ums Mittelmeer angewiesen, um Lösungen zu finden.
Die Arte-Dokumentation “Migration – Wie erpressbar ist die EU?” von Fabrice Launay und Sebastian Perez Pezzani greift das Thema am 31. Oktober um 21.45 Uhr auf. Ein Eindruck, der sich bei dem Beitrag aufdrängt: Die EU möchte die schutzsuchenden Menschen vom Weg nach Europa abdrängen, statt die Ursachen zu bekämpfen, die die Fluchtbewegung ausgelöst haben.
Dabei sollte das Flüchtlingsabkommen zwischen EU und der Türkei vor sieben Jahren Beispielcharakter haben: Drei Milliarden Euro flossen über Nichtregierungsorganisationen an geflüchtete Menschen, die sich in der Türkei aufhielten. Im Gegenzug hielt die Türkei die Boote von Schleppern systematisch auf. Damit war beinahe von einem Tag auf den anderen die Fluchtroute über den Balkan geschlossen, die in den Monaten zuvor Millionen Menschen genutzt hatten.
Gebrochen hat die EU allerdings ihr Versprechen, parallel dazu legale Wege der Migration zu öffnen, wie Launay und Pezzani zeigen. Das spielte den Schleusern in die Hand, die längere und gefährlichere Wege erschlossen: über Minsk und Moskau an die polnische und norwegische Grenze, über Tunesien, Marokko und Libyen nach Italien und Spanien. Mit viel Geld und Drohungen drängt die EU die sogenannten Transitländer in Afrika, die Menschen bereits dort aufzuhalten. Die Folgen dieser Verlagerung sind oft katastrophal für die Wirtschaft dieser Länder, wie die Dokumentarfilmer an einem Beispiel aus dem Niger verdeutlichen.
Die EU ist durch diese Politik gezwungen, mit Regierungen zusammenzuarbeiten, die nicht demokratisch gewählt sind und Menschenrechte systematisch missachten, wie der Film verdeutlicht. Das stürzt sie in ein moralisches Dilemma. So passen sogenannte Pushbacks auf dem Mittelmeer oder bürgerkriegsähnliche Szenen an der Grenze zwischen Polen und Belarus nicht zu ihren Werten. Der Wunsch nach Abschottung macht sie erpressbar.
Experten wie Pascal Ausseur von der Stiftung für strategische Studien ziehen die Strömungslehre heran, um den Wettlauf der EU mit den Schleusern zu charakterisieren: Schließe die EU ein Loch, fänden die Schlepper eine andere Route. Denn es ist auch ein Millionengeschäft, wie ein Schlepper aus Niger berichtet, der jahrelang Überfahrten nach Libyen für Flüchtende anbot.
Am Schluss der Doku wird ein nachhaltiger Lösungsansatz angemahnt. Es müssten Milliarden insbesondere auf den afrikanischen Kontinent fließen, um die Armut dort zu begrenzen und die ungleiche Verteilung des Reichtums auf der Erde zu stoppen, meint Ausseur. Nachhaltige Erfolge stellen sich nach seiner Ansicht nur durch eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung ein, die Millionen Arbeitsplätze dort schafft, wo Menschen fliehen.
Die informative Dokumentation fasst die wichtigsten Fakten zum Thema zusammen und lässt Fachleute zu Wort kommen, um die These von der Erpressbarkeit der EU zu untermauern. Über die vielen benannten Einzelbeispiele versäumt es der Beitrag leider, weitere Ansätze für eine nachhaltige Migration aufzuzeigen.