Die Flucht vor den Nazis führte Paul Dessau ins US-Exil. Von dort kehrte er nach Ostdeutschland zurück, wo er im Auftrag des SED-Regimes komponierte. Doch passten die spröde Musik und die Lebenswirklichkeit der Arbeiterklasse zusammen?
Bonn (KNA) In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
Zu den vielen Künstlern, die im Zuge der Machtübernahme der Nazis und des Zweiten Weltkriegs Deutschland verließen, gehörte auch der 1894 in Hamburg geborene Musiker Paul Dessau. Nachdem er zunächst eine Karriere als Violinist gestartet hatte, kam er als junger Mann bald zum Komponieren, zum Theater und in den 1920er-Jahren schließlich zum Film. Im Kino der Weimarer Zeit komponierte er Musiken u.a. für die Werke von Bergfilmer Arnold Fanck – Filme wie “Stürme über dem Montblanc”, “Der weiße Rausch” oder “SOS Eisberg”.
1933 sah sich der jüdische und politisch linke Künstler dann gezwungen, seine Heimat zu verlassen, emigrierte zunächst nach Frankreich, dann in die USA und versuchte, wie so viele Leidensgenossen, eine neue Wirkungsstätte in Hollywood zu finden. Seine politischen Überzeugungen brachten Dessau nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich zurück nach Deutschland, genauer: in die DDR, wo er zu einer Art Staatskomponist wurde, mit Bertolt Brecht zusammenarbeitete und weiter fürs Kino komponierte. Sein mitunter spröder Stilwillen brachte ihm freilich mitunter auch den Vorwurf ein, dem in der DDR verpönten “Formalismus” zu frönen.
Der 2022 entstandene Dokumentarfilm von Anna-Kathrin Peitz zeichnet Dessaus bewegtes, vom Sog der politischen Umbrüche des 20. Jahrhunderts geprägtes Künstlerleben nach – “eine zwischen Anpassung und Abstoßung, politischem Idealismus und musikalischer Individualität, in dem sich wie unter einem Brennglas die wechselhafte deutsch-deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts verdichtet.”
Wie kaum jemand anders verkörperte Paul Dessau Irrungen und Wirrungen der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, verdichtet in einer Person. Zunächst schrieb er die Musik für monumentale Bergfilme mit der späteren Nazi-Ikone Leni Riefenstahl. Als Komponist jüdischer Herkunft musste er bald darauf vor den Faschisten fliehen, zunächst nach Paris, dann nach Los Angeles. Gemeinsam mit Bertolt Brecht, der vor dem McCarthy-Ausschuss für unamerikanische Umtriebe in Ungnade gefallen war, kehrte er schließlich zurück nach Ostdeutschland.
Anne-Kathrin Peitz, Spezialistin für moderne Musik, lotet in der Arte-Doku “Der Komponist Paul Dessau. Von Hamburg über Hollywood in die DDR” das Spannungsverhältnis zwischen dieser ungewöhnlichen Biografie und dem in der Öffentlichkeit weitgehend vergessenen Werk Paul Dessaus aus.
Peitz greift für ihre Dokumentation auf einen üppigen Fundus an Archivmaterial zurück. Filmaufnahmen zeigen den Musiklehrer Dessau in der DDR während des alltäglichen Unterrichts. Diese Aufnahmen entstanden offensichtlich zu Propagandazwecken. Aus der Dokumentation erschließt sich dies allerdings nur indirekt. Dokumentarische Szenen zeigen den Meister als mürrischen, aber volksnahen und kumpelhaften Typen. Die Hierarchien, so suggerieren diese Blicke in den Alltag der Lehrers, sind offenbar flach. Musikgeschmack wolle Dessau den Studenten nicht vorschreiben: “Sie haben das Recht rauszugehen, wenn es Ihnen nicht gefällt”.
Der süffisante Doppelsinn dieser Aussage ist ihm in diesem Moment wahrscheinlich nicht bewusst. Im Gegensatz zum einfachen DDR-Bürger lebte Paul Dessau in einem luxuriösen Anwesen mit Seegrundstück. Und er genoss Reisefreiheit, fuhr regelmäßig zum Einkaufen nach West-Berlin.Auf die Frage eines Elektromarkt-Verkäufers, wie er denn die Antenne zum Empfang von Westfernsehen durch den Eisernen Vorhang in den Osten schmuggeln würde, sagte Dessau: “Das kriege ich hin. Ich bin der Zwölfton-Minister.” Den Sozialismus, munkelten die Genossen, fand er sehr schön, “besonders durch die getönten Scheiben seiner Mercedes-Limousine”.
Solche Widersprüchlichkeit verschweigt der Film nicht, macht sie aber auch nicht zum Hauptthema. Er versucht vielmehr, eine zerrissene Biografie auszuleuchten. In eine Musikerfamilie hineingeboren, wurde Dessau schon in jungen Jahren Kapellmeister in Hamburg und Berlin. Bald schon etablierte er sich als gefragter Komponist. Während er die Orchestermusik zu Arnold Fancks Katastrophenfilm “SOS Eisberg” einspielt, wird er 1933 von einem der Musiker angepöbelt, der zur SA gehört. Im Pariser Exil erfährt er später, dass seine Mutter 1942 im KZ Theresienstadt ermordet wurde. Das Wiedersehen mit Bertolt Brecht in Los Angeles inspiriert ihn. Noch in den USA tritt Dessau in die Kommunistische Partei ein.
Fortan stand Kunst für ihn ausschließlich im Dienst der Politik. Musik, so deutet der Film an, ist für den linientreuen Staatskomponisten nie l’art pour l’art oder Entspannung. “Dafür”, so Dessau, “gibt es Spaziergänge. Das ist billiger.” Musik aus seiner Feder hat stets Strenge und erzieherische Funktion.
Aus heutiger Sicht muten viele von Dessaus Kompositionen an wie vertonte Weltanschauung. Über jene Stücke, die er für Hollywoods Kulturindustrie komponierte, geht die Dokumentation beiläufig hinweg. Dem Zuschauer, der diesen interessanten, aber doch gewöhnungsbedürftigen Klängen lauscht, ergeht es möglicherweise ein wenig wie jenen kleinen Leuten aus dem Arbeiter- und Bauernstaat, die mit Dessaus später formalistisch-spröder Musik eher fremdelten. Der Komponist selbst, so arbeitet die Dokumentation heraus, war allerdings felsenfest überzeugt, dass er Musik für die Werktätigen erschuf: “Ihr baut die Turbine, wir arbeiten geistig.” Zum Leidwesen der SED-Funktionäre, die sich in den Kulturbetrieb einmischten, traf Dessau aber “nicht wirklich den Musikgeschmack der Arbeiterklasse”.
In ihrer Dokumentation nimmt Anne-Kathrin Peitz sich viel Zeit, um Dessaus Kompositionen nicht nur zu erklären und kenntnisreich zu kommentieren. Seine Musik ist auch ausgiebig zu hören, und hier sind einige Szenen sehr gelungen. Besonders ein Bild zu Beginn des Films verdeutlicht die innere Widersprüchlichkeit Dessauscher Kompositionen. Es zeigt ein Orchester, das vor einem tiefen Abgrund spielt. Der Film wird zuweilen aber auch zur Geduldsprobe. Zu Dessaus Tondichtungen, die mit Klavier und Gesang aufgeführt werden, führen Artisten Zirkuskunststücke wie aus dem Variete auf. Diese Form der illustrierenden Darbietung wirkt eher spröde. Nur in einigen Momenten gelingt es der Dokumentation, das Flirrende und Zerfließende der Dessauschen Zwölftonmusik durch eine assoziative Montage von Bildeindrücken visuell umzusetzen.