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ARD-Doku beleuchtet den deutschen Umgang mit der Organspende

Rund 8.500 sterbenskranke Menschen stehen bei uns auf der Warteliste für eine Transplantation, aber seit Jahrzehnten zählt Deutschland bei Organspenden zu Europas Schlusslichtern.

Nichts ist einfacher, als in Deutschland einen Organspende-Ausweis zu erhalten. Es gibt keine Altersbeschränkung, es braucht nur ein paar Klicks im Netz auf der Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sowie die Beantwortung von fünf Fragen. Trotzdem sterben jedes Jahr hunderte Menschen in Deutschland, weil sie kein Spenderorgan bekommen. Mit diesem System des Mangels befasst sich die Dokumentation “Gegen die Zeit – Organmangel in Deutschland” aus der Reihe “ARD Story” am Montag um 21.45 Uhr kompakt.

Seit Jahrzehnten zählt Deutschland zu den Schlusslichtern in Europa, was die Zahl der Organspenden betrifft. Patienten mit Organversagen sind hier deutlich schlechter versorgt als anderswo, das stellen die TV-Journalisten Carl Gierstorfer und Mareike Müller in ihrer für den Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB) produzierten halbstündigen Dokumentation fest. “Als Autoren-Team wussten wir sofort: Die Organspende ist ein Thema, das nicht nur medizinisch hochinteressant ist, sondern auch gesellschaftliche Relevanz hat”, sagen beide.

Deutschland geht bei der Organspende einen anderen Weg als viele andere europäische Länder. Die Bundesbürger müssen zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt haben, um als Spender in Frage zu kommen. In den meisten europäischen Ländern gilt die sogenannte Widerspruchslösung: Wer nicht ausdrücklich widersprochen hat, ist automatisch potenzieller Organspender.

Viele Experten sehen in dieser Regelung einen wichtigen Faktor für höhere Spenderzahlen, mit dem die Organspende vom Ausnahme- zum Normalfall werden könnte. 2020 hatte der Bundestag einer Widerspruchslösung eine Absage erteilt.

Das Thema sorgt seit Jahren für Debatten. Politik und auch Kirchenvertreter rufen die Bürger dazu auf, für sich eine Entscheidung zu treffen und sie zu dokumentieren. Ärzte und Krankenkassen informieren und beraten. Im vergangenen Jahr waren die Spenderzahlen in Deutschland noch einmal deutlich gesunken. Gegner der Widerspruchslösung warnen vor einem Eingriff ins Selbstbestimmungsrecht; in Deutschland bedürfe jeder noch so kleine medizinische Eingriff einer ausdrücklichen Zustimmung des Patienten.

Beide Seiten beleuchtet die Doku. Deutschland profitiert laut Aussage der Filmemacher im Verbund “Eurotransplant”, der in acht europäischen Ländern Organe an Patienten vermittelt, von der Spendenbereitschaft seiner Nachbarn. Rund 8.500 Menschen stehen in der Bundesrepublik auf der Warteliste für eine Organtransplantation. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit – es ist ein tödliches Wegschauen.

Wie dramatisch das im Einzelfall ist, zeigt der Film am Beispiel des Berliner Paulinenkrankenhauses: Hier lebt und wartet Larissa als Hochdringlichkeitspatientin auf ein Herz – seit mehr als 330 Tagen. War die 28-jährige Frau mit einem angeborenen Herzfehler am Anfang noch mit viel Motivation und Hoffnung in die Wartezeit gegangen, kommt sie inzwischen jeden Tag aufs Neue an ihre persönlichen Grenzen. Denn Larissa weiß: Gibt sie auf und verlässt die Klinik vorzeitig, wird sie in absehbarer Zeit sterben.

Dem Berliner Filmemacher-Duo kam mit dieser Arbeit nach eigenem Bekunden die Einsicht, dass auch es selber – bevor sie die ganze Dramatik des Themas verstanden hätten – ein Stück weit weggeschaut habe. Ob man seine Organe nun spenden möchte oder nicht, bleibt eine individuelle Entscheidung, die es zu respektieren gilt. “Nicht zu respektieren ist jedoch das Wegschauen, weil man denkt, dies sei ein Thema, das einen niemals betrifft, bei dem man selbst nicht helfen könnte. Dies herauszuarbeiten war unser Anliegen und ist die wichtigste Botschaft dieser Dokumentation.”

Fest steht: Modernste Medizin kann in Deutschland ohne die Solidarität der Gesellschaft – und jeder und jedes Einzelnen – nicht ihr volles Potenzial ausschöpfen. Dann stößt auch ärztliche Hilfe an Grenzen. Ein Thema zum Nachdenken.