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Dialekte haben ein schlechtes Image – zu Unrecht!

Wer Mundart spricht, wird schnell belächelt oder als hinterwäldlerisch abgestempelt. Dabei bieten Dialekte nicht nur emotionale Heimat. Sprachwissenschaftler sehen sie als großen Reichtum.

Hinweisschild mit Figuren und Inschrift Vadder-do im hessischem Dialekt
Hinweisschild mit Figuren und Inschrift Vadder-do im hessischem DialektimageBROKER/Gerald Abele

„Dialekt ist das, woraus die Seele ihren Atem schöpft“, soll Johann Wolfgang Goethe einmal gesagt haben. Wer zur Zeit des Dichters, im 18. Jahrhundert, gebildet erscheinen wollte, „der sollte sich am Sächsischen orientieren“, schreibt der Linguist Beat Siebenhaar. So sei es denn auch gekommen, dass Goethe 1765 zum Jura-Studium von Frankfurt am Main nach Leipzig ging, „wobei auch sprachliche Gründe mitursächlich gewesen sein sollen“. Heute rangiert das Sächsische auf der Beliebtheitsskala deutscher Mundarten mit zuverlässiger Konstanz weit hinten, oft noch hinter dem ebenfalls von vielen belächelten Schwäbisch.

Hubert Klausmann hält allerdings wenig von derartigen Umfragen. Der Germanist und Dialektforscher lehrt seit 2009 am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen und beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit der Bedeutung von Mundarten. „Solche Bewertungen sind nicht ernstzunehmen“, sagt er dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Dialekte: Vorurteile und Stereotype bestimmen Meinung

Menschen beurteilten nämlich nicht den Dialekt an sich, sondern vielmehr die Region, von der sie meinten, dass der Dialekt dort beheimatet sei. Und dabei spielten Vorurteile und Stereotype häufig eine Rolle: „Bayern hat eine schöne Landschaft, also ist Bairisch schön. Man mag den alten Chef der Lokführergewerkschaft (Claus Weselsky – Anm. d. Red.) nicht, also ist Sächsisch schlecht.“

Dass das Sächsische es schwer hat, kann der gebürtige Schweizer Siebenhaar bestätigen, der Germanistikprofessor an der Universität Leipzig ist. Dabei sei Sächsisch einmal der angesehenste deutsche Dialekt überhaupt gewesen, sagt er. So habe der Reformator Martin Luther (1483-1546) beispielsweise nach der sächsischen Kanzleisprache geschrieben. Das heute verbreitete negative Image wurzelt nach Siebenhaars Einschätzung vor allem in der Zeit der deutschen Teilung: „Die Elite der DDR sprach sächsisch.“ Das sorge mitunter bis heute für Spott und Ablehnung.

Dialekte bieten nicht nur eine emotionale Heimat
Dialekte bieten nicht nur eine emotionale HeimatimageBROKER/Norbert Eisele-Hein

Einen stark vereinfachten und auf Klischees reduzierten gesellschaftlichen Diskurs bei dem Thema beobachtet auch Pius Jauch, stellvertretender Vorsitzender des Dachverbandes der Dialekte Baden-Württemberg. „Die Leute erfassen regionale Varietäten von Sprache nicht als das, was sie aus sprachwissenschaftlicher Perspektive sind, nämlich ein großer Reichtum“, sagte er dem epd. Stattdessen machten sie sich darüber lustig. Besonders im Kulturbetrieb, im Bildungsbereich und in den Medien hätten Dialekte einen schweren Stand.

Dialekt ist mit Heimat verbunden

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov für die Sprachlernplattform „Babbel for Business“ verbinden knapp zwei Drittel der Deutschen – 64 Prozent – mit Dialekt in erster Linie Heimat, wie das Beratungsunternehmen Haufe berichtet. Vor allem im familiären Umfeld werde in der jeweiligen Mundart gesprochen. In Schule, Ausbildung und Beruf hingegen bevorzugen 71 Prozent der Befragten Hochdeutsch.

„Das hängt damit zusammen, dass man in Deutschland ab den 1960er Jahren in den Schulen den Kindern das Dialektsprechen abgewöhnen wollte, da man der Ansicht war, nur mit Hochdeutsch könne man gesellschaftlich aufsteigen“, erklärt Hubert Klausmann. Kinder seien dazu gebracht worden, sich für das Sprechen im Dialekt zu schämen: „Man wurde bloßgestellt, häufig sogar diskriminiert.“

Das wirke fort. Laut einer Studie des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen sprechen in den Klassen 1 und 2 der Grundschulen im Südwesten nur noch zwischen 11 und 15 Prozent der Kinder Dialekt. Vor allem in den Städten gehe die regionale Färbung zunehmend verloren, sagt Klausmann. Er ermutigt Eltern und Lehrer, Kindern den Dialekt nicht nur zuzugestehen, sondern sie darin zu bestärken: „Das fördert ihr Selbstbewusstsein.“

Anders ist die Situation im Norden

Das traditionelle Niederdeutsch – oder Plattdeutsch – gilt als eine eigenständige Sprache. In etlichen Schulen wird es mittlerweile als Schulfach gelehrt, in Mecklenburg-Vorpommern absolvierten im vergangenen Jahr erstmals zwei Schülerinnen ihre mündlichen Abiturprüfungen in dem Fach. Wie gut Goethes Sächsisch nach seinem fast dreijährigen Aufenthalt in Leipzig war, ist übrigens nicht überliefert.