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Aktuelle Lage in Syrien: Tiefe Sorge und vorsichtige Hoffnung

Im Gespräch erläutert Pater Gaby Geagea, Leiter der Maronitenmission, die dramatische Lage in Syrien und die besondere Bedrohung, der religiöse Minderheiten, besonders die Alawiten, ausgesetzt sind.

In Interview: Einblicke in die Lage der Alawiten und religiöser Minderheiten in Syrien
In Interview: Einblicke in die Lage der Alawiten und religiöser Minderheiten in Syrienepd-bild / Detlef Heese

Die Maronitenmission in Frankfurt am Main ist eine wichtige Anlaufstelle für arabisch sprechende Christen, insbesondere für jene aus dem Nahen Osten, die aufgrund von Konflikten wie dem Syrienkrieg nach Deutschland geflüchtet sind. Die Mission bietet spirituelle Unterstützung, Gottesdienste in arabischer Sprache sowie praktische Hilfe und dient als ein Ort der Gemeinschaft und des Austauschs für maronitische Christen und andere arabische Gläubige. Im Interview spricht Pater Gaby Geagea, Leiter der Maronitenmission über die schwierige Lage in Syrien aus der Perspektive seiner Glaubensgemeinschaft. Er gibt Einblicke in die Herausforderungen, vor denen religiöse Minderheiten stehen, insbesondere die Bedrohung der Alawiten, und die Auswirkungen des Krieges auf die junge Generation. Zudem erläutert er die Rolle der Kirche als Quelle der Hoffnung und Widerstandskraft. Ein Gespräch über Glauben, Solidarität und die Notwendigkeit interreligiöser Zusammenarbeit in Krisenzeiten.

Pater Geagea, wie erleben Sie die derzeitige Lage in Syrien aus Ihrer Perspektive als Mitglied der Maronitenmission? Welche Informationen erreichen Sie aus der Region?
Gaby Geagea:
Als Leiter der Maronitenmission erlebe ich die Situation in Syrien mit tiefer Sorge, aber auch mit vorsichtiger Hoffnung. Informationen aus der Region erreichen uns regelmäßig über persönliche Kontakte zu Gemeinden und Familien, sowie durch Berichte kirchlicher Organisationen. Diese Quellen vermitteln ein differenziertes Bild, das sowohl von weiterhin großer Not und Unsicherheit geprägt ist, als auch von bewundernswerten Beispielen der Widerstandskraft und des Zusammenhalts unter den Menschen.

Inwiefern hat sich die Situation für religiöse Minderheiten, einschließlich der Alawiten, während der instabilen Lage in Syrien verändert?
Die Lage vieler religiöser Minderheiten in Syrien, einschließlich der Alawiten, hat sich im Laufe des Konflikts dramatisch verändert. Insbesondere Christen und andere kleinere Gemeinschaften sind häufig zwischen die Fronten geraten oder wurden gezielt verfolgt. Dennoch beobachte ich auch Solidaritätsbekundungen und vorsichtige Allianzen zwischen verschiedenen religiösen Gruppen, die angesichts gemeinsamer Herausforderungen entstanden sind. Diese Veränderungen haben deutlich gemacht, wie verletzlich Minderheiten in Konfliktsituationen sind, gleichzeitig aber auch neue Formen interreligiöser Solidarität hervorgebracht.

 

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Wie haben sich die Erfahrungen der Geflüchteten aus Syrien auf die spirituelle Praxis und das Glaubensleben in Ihrer Gemeinde ausgewirkt? Haben Sie Veränderungen im religiösen Leben bemerkt, sei es durch Trauma, Hoffnung oder den Wunsch nach Heilung?
Die Erfahrungen der Geflüchteten aus Syrien haben die spirituelle Praxis und das Glaubensleben in unserer Gemeinde tief geprägt. Viele der geflüchteten Gläubigen tragen schwere Traumata mit sich, die ihre spirituelle Suche intensivieren. Sie finden in der Gemeinde nicht nur einen Ort des Gebets, sondern auch des Trostes und der Gemeinschaft, was zu einer intensiveren und lebendigeren Glaubenspraxis geführt hat. Ich bemerke häufig, dass Traumatisierte durch ihren Glauben Hoffnung und Heilung suchen, wodurch auch das Gebet und die Liturgie in unserer Gemeinschaft eine neue Tiefe gewinnen.

Welche Auswirkungen hat die Lage aus Ihrer Sicht auf die jungen Generationen von Christen in Syrien und in der Diaspora?
Für die jungen Generationen von Christen in Syrien und in der Diaspora hat die anhaltende Krise schwerwiegende Folgen. Viele junge Menschen fühlen sich heimatlos oder stehen vor der Herausforderung, ihre christliche Identität in fremden Kontexten neu zu definieren. Ich beobachte dabei zwei gegenläufige Bewegungen: Einerseits eine Stärkung des Glaubens als Quelle der Identität und des Trostes, andererseits aber auch eine Distanzierung und Frustration, insbesondere wenn junge Menschen das Gefühl haben, dass traditionelle religiöse Strukturen ihnen keine ausreichenden Antworten auf die existenziellen Fragen ihres Alltags bieten können.

Wie beurteilen Sie die Rolle der Kirche und der religiösen Führung in Syrien im Kontext des Krieges und der politischen Umbrüche?
Die Rolle der Kirche und religiösen Führung in Syrien ist aus meiner Sicht äußerst wichtig, aber auch als herausfordernd. Viele kirchliche Verantwortliche haben mutig gehandelt, sich deutlich für Frieden und Versöhnung ausgesprochen und konkrete humanitäre Hilfe geleistet. Allerdings gab es auch Fälle, in denen religiöse Institutionen sich aus Vorsicht oder aus politischen Zwängen zurückhielten. Die Kirche bleibt dennoch eine entscheidende Instanz für Hoffnung, Stabilität und moralische Orientierung in Zeiten großer Unruhe.

Wie können religiöse Gemeinschaften in Deutschland – insbesondere die christlichen – dazu beitragen, das Verständnis und die Solidarität mit den syrischen Flüchtlingen und den Christen in der Region zu stärken?
Religiöse Gemeinschaften in Deutschland, besonders die christlichen, können eine zentrale Rolle bei der Stärkung des Verständnisses und der Solidarität mit syrischen Flüchtlingen spielen. Dazu gehört vor allem die konkrete Willkommenskultur, aber auch Bildungsarbeit, die Vorurteile abbaut und das Wissen über die Lage in Syrien vertieft. Gleichzeitig ist es entscheidend, spirituelle Räume zu schaffen, in denen Geflüchtete ihre Erfahrungen teilen und verarbeiten können, und so in einer unterstützenden Gemeinschaft Halt finden.