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Afrikas Jugend begehrt auf – Regierungen fürchten Protestwelle

Die junge Generation in Afrika ist mächtig, zumindest den Zahlen nach. Südlich der Sahara sind 70 Prozent der Einwohner jünger als 30. Sie organisieren sich zunehmend gegen alte Eliten.

Junge Erwachsene in Kenia zeigen seit Wochen, wie viel Macht sie haben. Überall im Land protestieren sie gegen die Regierung von Präsident William Ruto und dessen Pläne. Einen großen Erfolg verbuchten sie schon. Ruto, der seit 2022 an der Macht ist, zog Ende Juni das geplante Steuergesetz zurück, das die Proteste ausgelöst hatte.

Kenia ist zwar die siebtgrößte Volkswirtschaft des Kontinents mit einem jährlichen Wachstum von rund fünf Prozent. Doch das Land leidet unter einer hohen Schuldenlast, wie Khasai Makhulo vom Zentrum für strategische und internationale Studien mit Sitz in Washington in einem Podcast erklärt: “Zu den umstrittensten Elementen des Finanzgesetzes gehören eine Brotsteuer und eine höhere Steuer auf Menstruationshygieneprodukte.”

Gerade junge Kenianer – das Durchschnittsalter der gut 58 Millionen Einwohner liegt bei rund 21 Jahren – akzeptieren das nicht. Auch wenn einzelne Viertel mit Hochhäusern, Einkaufszentren und teuren Restaurants in Nairobi wohlhabend und modern wirken und die junge Bevölkerung gut ausgebildet ist, ist der Alltag für viele kompliziert. Laut Arbeitgeberverband liegt die Arbeitslosenquote der 15- bis 34-Jährigen bei 67 Prozent. Jede Preissteigerung ist eine enorme Belastung.

Sie haben viel auf sich genommen, damit es in diesem Fall nicht dazu kam. Nach Angaben der kenianischen Menschenrechtskommission sind bisher 60 Menschen ums Leben gekommen, mehr als 1.300 wurden verhaftet. Bilder, die zeigen, wie Sicherheitskräfte Tränengas auf die Demonstranten schießen und Teile des Parlamentsgebäudes in Flammen stehen, gingen um die Welt.

Dabei sind Anti-Regierungsproteste nicht unüblich. Der “Generation Z”, die zwischen Ende der 1990er und den frühen 2010er Jahren geboren wurde, gelingt es aber, Proteste unter dem Hashtag #RejectFinanceBill2024 digital zu organisieren. Anders als früher spielt auch die ethnische Zugehörigkeit keine Rolle, was Präsident Ruto sogar lobte: “Ich bin sehr stolz auf unsere jungen Leute. Sie haben sich ohne Stammeszugehörigkeit und friedlich für die Angelegenheiten ihres Landes eingesetzt”, sagte er nach Information des Radiosenders Capital News.

Womit er vermutlich nicht gerechnet hat, ist ihr Durchhaltevermögen. Längst geht es nicht mehr nur um höhere Steuern, sondern um die Forderung, dass Präsident Ruto zurücktritt. Das will er mit einer Kabinettsumbildung verhindern, was den Demonstrierenden aber wohl nicht ausreicht.

Dass Jugendproteste sich auszahlen, hat im Februar Senegal in Westafrika erlebt. Der bisherige Präsident Macky Sall wollte die Wahlen verschieben. Keine 24 Stunden später fingen die Proteste an. Sall knickte ein, und Senegal wird seit April von Bassirou Diomaye Faye regiert. Der 44-Jährige ist der jüngste Präsident, den das Land je hatte.

Änderungen sind aus Sicht von Mohamed Gueye dringend nötig. Der Fischersohn lebt in St. Louis und versuchte schon, in Richtung Kanarische Inseln aufzubrechen, wurde aber von der Küstenwache gestoppt. Darüber spricht er nur ungern, sagt knapp: “Wir brauchen hier Jobs, ein Einkommen, eine bessere Zukunft.”

Für die sind nun auch in Uganda, wo Yoweri Museveni seit knapp 40 Jahren an der Macht ist, Menschen auf die Straße gegangen. Nach Informationen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wurden mindestens 45 Personen bei Protesten gegen die weit verbreitete Korruption verhaftet. Laut der britischen BBC drohte Museveni den Demonstranten: “Ihr spielt mit dem Feuer.”

Davor haben auch in Nigeria, Afrikas Riesenstaat mit mehr als 230 Millionen Einwohnern, Politiker Sorge. Wahlweise drohen sie oder versuchen sie zu beschwichtigen. Die Zeit wird knapp: Für den 1. August ist ein zweiwöchiger Protest unter dem Slogan “Tinubu muss weg” – Bola Tinubu ist seit einem Jahr Präsident des Landes – angekündigt. Die Situation ist ähnlich wie in Kenia. Wer nicht aus einer gut vernetzten und wohlhabenden Familie kommt, hat kaum Aufstiegschancen.

Vergangene Woche warnte die Christliche Vereinigung Nigerias, Dachverband der christlichen Kirchen, vor einer Eskalation, wenn man auch in “schwierigen Zeiten wirtschaftlicher Not und allgegenwärtigen Hungers solidarisch an der Seite der Bürger” stehe.

In Nigeria erinnert der Aufruf schließlich an die #EndSARS-Proteste im Oktober 2020. SARS war eine berüchtigte Polizeieinheit. Die Demonstrationen begannen in der Wirtschaftsmetropole Lagos und legten Teile des Landes lahm. Wie in Kenia spielten ethnische und religiöse Zugehörigkeit erstmals keine Rolle, erinnert sich Eromosele Adene, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Eromz: “Wir waren eins, unabhängig von Religion, ethnischer Zugehörigkeit und sozialer Klasse. Das ist der Beginn für ein besseres Nigeria.”

In Erinnerung bleibt aber eins: Sicherheitskräfte gingen massiv gegen Protestierende vor. Laut Amnesty International starben mindestens 56 Menschen. Aufgearbeitet sind die Fälle bis heute nicht.