Artikel teilen

Zwischen Trauer und Hoffnung

Ein Jahr nach der Flutkatastrophe

Vor einem Jahr verloren viele Menschen im Ahrtal in Rheinland-Pfalz, aber auch in ­Nordrhein-Westfalen durch das Hochwasser nach starken Regenfällen Familienangehörige, ihre Häuser und ihre Existenz. Wie ist die Situation ein Jahr danach?

Von Volker König

Ich fahre ins obere Ahrtal, zur ­Vorbereitung eines ökumenischen Gottesdienstes zum Flutgedenken. Von den Eifelhöhen führt die Straße durch ein romantisches Waldgebiet. Im Tal glitzert das Wasser der Ahr. Hier kann man Urlaub machen. Tatsächlich zeigt mein Navi hinter der nächsten Biegung einen großen Campingplatz. Als ich um die Kurve fahre, sehe ich aber keinen Campingplatz. Zwischen Straße und Flussufer türmen sich meterhohe Berge von Steinen, Holz und Schrott neben riesigen Abbruch- und ­Zerkleinerungs-maschinen. Es sieht nicht so aus, als ob hier so bald wieder jemand Urlaub machen könnte.

Mit unfassbarer Wucht hat die Flut in der Nacht auf den 15. Juli 2021 Campingplätze ebenso von der Landkarte gespült wie Häuser, Brücken, Bahnstrecken. Menschen sind ertrunken. Andere mussten zusehen und zuhören, wie Nachbarn von der Flut mitgerissen wurden, konnten nicht helfen, das Wasser stand ihnen bis zum Dach. 

Gefühl der Machtlosigkeit und des Kontrollverlusts

Die Flutnacht ist präsent. Normalität und Zerstörung, Wiederaufbau und langwierige Spätfolgen ­liegen dicht beieinander. Auch in der­ ­„heilen Welt“ ohne persönliche Schäden leiden Menschen unter ­Infrastruktur-Schäden: der ÖPNV, die Nahversorgung, soziale Einrichtungen, Schulen, Spielplätze, Vereinswesen – vieles liegt darnieder.

In der „Tragik-Welt“ – über 180 Menschen sind ertrunken – sind die Menschen in Schockstarre. In der „Chaos-Welt“, wo Menschen das ­sicher geglaubte Zuhause verloren haben, ist der Wiederaufbau ein kräftezehrender Weg im Labyrinth von Sachverständigen, Handwerkern, Behörden und Versicherungen. Weit verbreitet ist das Gefühl der Machtlosigkeit, des Ausgeliefertseins und des Kontrollverlusts. 

Hier setzt unser evangelisches Projekt „Seelsorge und Beratung“ an. Mit 14 Pfarrer*innen, Psycholog*­innen und Pädagog*innen unterstützen wir die Betroffenen im Ahrtal, in Swisttal, im Schleidener Tal, an der Inde. Ein Projekt der Diakonie Katastrophenhilfe (DKH). Im Verbund mit den diakonischen Beratungsteams. Sie unterstützen den äußeren Wiederaufbau mit Spenden­geldern der DKH – über 40 Millionen Euro. Großartig. Wir kümmern uns um die innere Aufrichtung und Stabilisierung im sozialen Miteinander: zugewandt, aufsuchend, gut aus­gebildet. Die Menschen und wir selber erleben: Es ist gut, dass Evangelische Kirche da ist. 

Wir lernen für eine Kirche der Zukunft: Hingehen zu den Leuten, kein gewohntes pastorales Setting, sich aussetzen den Menschen und der Situation. Eingeladen und abgewiesen werden. Im ­Rahmen ­eines Projektes, ohne Bestands­garantie, immer wieder das Konzept nachjustierend – eine enorme Herausforderung. Wir ­gehen in ein zweites Jahr. Die Menschen wollen uns nicht gehen lassen – seien es die ­Betroffenen oder die politisch Verantwort­lichen. 

Zum Flutgedenken droht eine zweite Flut, die der Bilder. Es wird ­alles wieder aufgewühlt. Auch was mühsam angefangen hat zu heilen. Die Menschen gehen unterschiedlich in diese Zeit. Die einen wollen feiern, was in einem Jahr geleistet wurde, Helferinnen und Helfer ­werden eingeladen, man erinnert sich an das gute Miteinander. Das totgesagte hohe Gut der Solidarität ist auferstanden. 

Stilles Gedenken

Daneben überwiegen Trauer, Schmerz, Überforderung. Wir gehen sensibel darauf ein. Schaffen Raum für ein stilles Gedenken, bieten Worte an, in die, wer mag, sich ­flüchten kann. Wagen den Spagat zwischen dem Aushalten der Trauer und einer mühsam abgerungenen ­Botschaft der Hoffnung: „Ich habe Pläne des Friedens und nicht des Unheils. Ich will euch Zukunft und Hoffnung schenken“ (Jeremia 29,11).

Diakonie Rheinland-Westfalen, die Evangelischen Kirche im Rheinland, Evangelische Kirche von West­falen und die Lippische Landeskirche bitten gemeinschaftlich um Spenden für Opfer der Unwetterkatastrophe.

Spendenkonto: Empfänger: Diakonisches Werk Rheinland-Westfalen-Lippe e.V. – Diakonie RWLIBAN: DE78 3506 0190 1014 1550 38 BIC: GENODED1DKDStichwort: Hochwasser-HilfeKD Bank

Kirchenrat Volker ­König leitet die Stabsstelle Hochwasserseelsorge und -beratung im Landes­kirchenamt der Evangelischen Kirche im Rheinland.