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Zumutungen für die Stadt. Oder: Anders Fasten

Wieder wurde ein Obdachlosencamp geräumt. Zwei Männer und eine Frau lebten seit zwei Jahren unter einer S-Bahn-Brücke in Berlin-Mitte. Nicht zum ersten Mal entfernt der Stadtbezirk Obdachlose. Dabei fehlen bezahlbare Wohnungen und viele haben Angst, ihren Wohnraum zu verlieren. Kürzlich forderte deshalb Bischof Markus Dröge mehr sozialen Wohnungsbau und schlug vor, auf ehemaligen Friedhofsflächen zu bauen. Zugleich entstehen Luxuswohnungen und stehen als Spekulationsobjekte leer. Peter Storck, Pfarrer in Berlin-Kreuzberg und stellvertretender Superintendent des Kirchenkreises Stadtmitte mit einem Titelkommentar.

Wieder wurde ein Obdachlosencamp geräumt. Zwei Männer und eine Frau lebten seit zwei Jahren unter einer S-Bahn-Brücke in Berlin-Mitte. Nicht zum ersten Mal entfernt der Stadtbezirk Obdachlose. Dabei fehlen bezahlbare Wohnungen und viele haben Angst, ihren Wohnraum zu verlieren. Kürzlich forderte deshalb Bischof Markus Dröge mehr sozialen Wohnungsbau und schlug vor, auf ehemaligen Friedhofsflächen zu bauen. Zugleich entstehen Luxuswohnungen und stehen als Spekulationsobjekte leer.

Von Peter Storck

Wenn man die Tür der Friedrichswerderschen Kirche in Berlin-Mitte öffnen will, dann klemmt sie. Sie ist verzogen. Das hat seinen Grund: Die Baugruben für Luxuswohnungen zu beiden Seiten der Kirche wurden nicht genug abgestützt. Dadurch hat die schöne Kirche einen Riss, der ihre Fundamente erschüttert. Dagegen sind die Wohnungen fertig, aber sie stehen weitgehend leer, denn sie sind entweder Spekulationsobjekte oder Zweit- oder Drittwohnungen derer, die überall auf der Welt Immobilien erwerben. Die Tür klemmt weiterhin und der Riss wird zu einer Parabel für die Wunde, die durch unsere Gesellschaft geht. Hier die, die nichts haben und sich nicht im Traum Eigentum in der Stadt leisten können, und da die Wenigen, die nicht wissen, wohin mit dem Geld. Hier die Vielen, deren Einkünfte von steigenden Mieten aufgefressen werden, da der spekulative Umgang mit Wohnungen. Das schafft Wunden und die brechen irgendwann auf und stinken.Bei der steigenden Zahl obdachloser Menschen im öffentlichen Raum wird das besonders sichtbar. Aber es gibt auch einen stillen Exodus: Immer mehr Menschen müssen aus Kostengründen die Innenstadtkieze verlassen und anderswo neu anfangen. Normalverdiener können nicht mehr in die Innenstadt ziehen.Zwar unternehmen Kommunen, das Land Berlin und auch zahlreiche kirchliche Träger gegenwärtig große Anstrengungen, wenigstens die Obdachlosen irgendwo unterzubringen. So wurde die Zahl der Notübernachtungsplätze in den Wintermonaten stark erhöht, aber immer mehr Menschen fehlt ein Dach über dem Kopf. In den öffentlichen Verkehrsmitteln können wir die Folgen sehen und riechen. Es ist schon hart, auf dem Weg zur Arbeit mehrmals – für was auch immer – angebettelt zu werden. An vielen Orten sehen wir Schlaflager. Immer wieder werden obdachlose Menschen, die sich an öffentlichen Orten einrichten, geräumt. Die Arbeitsgemeinschaft „Leben mit Obdachlosen“ fordert einen sofortigen Stopp der Räumung von Übernachtungsstätten, wenn keine annehmbare alternative Wohnungsmöglichkeit zur Verfügung gestellt wird. Denn Verdrängung löst keine Probleme, sondern verfestigt sie.Vielmehr gilt es, neue Formen der Wohnungslosigkeit zu verhindern. So sollte es ein Räumungsverbot für Wohnungen von Alten und Familien geben, wenn es keine angemessenen Ausweichstandorte gibt. Und schließlich sollten mehr Sozialwohnungen gebaut werden. Der Bischof hat vor wenigen Tagen angeregt, als Beitrag der Kirche dafür auf nicht mehr pietätsbefangenen Flächen am Rande von Kirchhöfen bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.Aber wie umgehen mit denen, die auf der Straße sind? Obdachlosigkeit und die damit verbundene Verelendung verletzt die Menschenwürde. Sie macht den Riss in der Gesellschaft sichtbar. Dennoch werden Schutzbedürftige zur Zielscheibe von Beschimpfungen und Gewalt. Wie kann es gelingen, dass wir nicht abstumpfen?Ein alter Text der Bibel zur Fastenzeit bedenkt das Thema als eine geistliche Aufgabe. Da wird im dritten Teil des Jesajabuches (Kapitel 58) gefragt: Wie beginnen Heilungsprozesse einer Gesellschaft, die sich spaltet?:„Ist nicht das ein Fasten, an dem ich, der Heilige, Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg!“ Heißt das nicht: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten …“ (Verse 6–8).Fasten ist hier keine individuelle Sache, sondern ein gesellschaftlicher und geistlicher Heilungsprozess. Fasten wird auch zu einem Akt der Güte, der vor Abstumpfung bewahrt. Und so heißt es weiter: „Wenn du den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen“ (Vers 10).So fängt Gott unter uns an, gibt niemanden auf, sucht Orte, wo wir leben und heil werden können. Und wenn Gott mit da draußen ist, wenn er sich so verletzlich macht, dann fragen wir: Warum ist es so undenkbar, dass Türen für die aufgehen, die außen vor sind?

Peter Storck ist Pfarrer in Heilig Kreuz-Passion in Berlin-Kreuzberg und stellvertretender Superintendent des Kirchenkreises Stadtmitte.