MINDEN – Die 68er waren eine wilde Zeit. Jugendliche trieben sich auf der Straße herum. Sie rauchten, fluchten, hatten Sex. Die Sitten waren zügellos. Die Furcht vor einer Eskalation wuchs.
Was klingt wie eine bürgerliche Kurzfassung der 1968er-Jahre, ist in Wirklichkeit noch einmal 100 Jahre älter: 1868, mitten in den sozialen Umwälzungen der Industrialisierung, machen sich Christinnen und Christen Sorgen um das Seelenheil und die Moral ihrer Mitmenschen. Und so entstehen überall in Deutschland evangelische und katholische Rettungsvereine, Herbergen und Heime für die, die als besonders gefährdet gelten: Mädchen und Jungen, deren Eltern in Fabriken arbeiten, ledige Handwerksburschen, Obdachlose und Behinderte.
Industrialisierung brachte Rettungsvereine hervor
Auch die „Herberge zur Heimat“ für Handwerksgesellen in Minden und das von Diakonissen betriebene Mädchen-Rettungshaus Salem im Hafen von Stettin an der Ostsee werden 1868 gegründet. Diese beiden Häuser sind die Keimzellen der heutigen Diakonie-Stiftung Salem in Minden, die in diesem Jahr ihr 150-jähriges Bestehen feiert.
Die Aufgaben beider Gründungen vervielfältigen sich schnell. In Minden kommen Wanderarbeiter und Obdachlose zum Kreis der Hilfsbedürftigen hinzu; nach dem Ersten Weltkrieg werden außerdem die unterstützt, die durch Krieg und Arbeitslosigkeit entwurzelt wurden. 1929 wird das Kirchliche Jugend- und Wohlfahrtsamt gegründet, das für die Jugendfürsorge zuständig ist. In Salem wird aus dem Mädchen-Rettungshaus bald ein Kinderheim, später mit angeschlossenen Schulen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts übernehmen die Salemer Diakonissen ein Krankenhaus in Köslin und siedeln 1914 auch mit dem Kinderheim dorthin über.
Einen tiefen Einschnitt bildet die Herrschaft der Nationalsozialisten von 1933 bis 1945. Diakonische Einrichtungen werden zum Teil vom NS-Staat übernommen oder geschlossen; der kirchliche Betrieb ist nur noch eingeschränkt möglich und wird politisch streng überwacht.
Im März 1945 rückt die russische Armee von Osten her vor. Von Köslin aus flüchten 341 Salem-Schwestern mit über 200 Kindern, Säuglingen und Kleinkindern nach Westen.
Nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur entstehen in Minden gleich drei diakonische Organisationen, die in verschiedenen sozialen Bereichen engagiert sind. 1970 schließen sich die Verbände zum Diakonischen Werk – Innere Mission – im Kirchenkreis Minden zusammen. Eine Lücke in der Krankenpflege tut sich auf, als Bethel 1950 seine Sarepta-Schwestern aus Minden abzieht. Diese Stelle nehmen die Salemer Diakonissen ein, die sich bisher in Norddeutschland aufgehalten hatten. Ein neues Mutterhaus entsteht. 1961 wird außerdem die Auferstehungskirche eingeweiht. Neben der Krankenpflege sind die Schwestern in der Betreuung von Kindern und älteren Menschen tätig. 1973 wird das Fachseminar für Altenpflege eröffnet.
Menschenfreundlichkeit Gottes bezeugen
2010 erfolgt dann der Zusammenschluss des Diakonischen Werks und der Diakonissenanstalt Salem-Köslin-Minden zur Diakonie-Stiftung Salem. Heute hat sich aus den Anfängen diakonischer Arbeit in Minden und in Stettin ein vielfältiges Angebot an sozialen Dienstleistungen für Menschen im Alter, Menschen mit Behinderungen, Kinder, Jugendliche und Familien, Suchtkranke, Wohnungslose und Geflüchtete entwickelt. Heute ist die Diakonie Stiftung Salem mit Standorten in Minden, Hille, Petershagen und Porta Westfalica vertreten und beschäftigt rund 2800 Menschen mit und ohne Behinderungen.
„Unsere Mission ist in all den Jahren die gleiche geblieben. Wir wollen Gottes Menschenfreundlichkeit durch Wort und Tat bezeugen und Menschen in unterschiedlichsten Lebenslagen dabei unterstützen, ein selbstbestimmtes und sinnerfülltes Leben zu führen“, betont Thomas Lunkenheimer, theologischer Vorstand der Diakonie Stiftung Salem. leg