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Zu Inklusion im Karneval gehören auch jecke Hoheiten mit Behinderung

Tanzen, Feiern und Orden verteilen: Im kleinen Ort Much kennt der Karneval keine Ausgrenzung. Ein inklusives Dreigestirn übernimmt in diesen Tagen die Macht und vertritt den Ort nach außen. Keine Selbstverständlichkeit.

Wenn der Winter geht und der Frühling kommt, dann ist in vielen Teilen des Landes die “fünfte Jahreszeit”. Städte und Dörfer küren ihre “Tollitäten”, zum Beispiel ein Prinzenpaar oder ein Dreigestirn. So auch das Dörfchen Eichhof in der Gemeinde Much im oberbergischen Land in NRW – eine besondere Gemeinschaft, weil dort fast nur Menschen mit geistiger Behinderung leben und arbeiten. Eine lange Warteliste gibt es in der Lebensgemeinschaft Eichhof, um einmal Prinz, Bauer oder Jungfrau zu sein.

“Es war schon lange mein Wunsch, dass ich Jungfrau werde”, sagt Bianca II., “und endlich ist es so weit”. Sie ist ein “echt kölsches Mädche”, Fan des 1. FC Köln und aus einer Karnevalsfamilie. Die sei stolz drauf, dass ihre Tochter beim Dreigestirn mitmache, erzählt Bianca. Wird die Karnevalsmusik lauter, hebt sie ein wenig ihren langen Rock und tanzt.

Jährlich wechselt, wer in das braune Ornat des Eichhofer Dreigestirns schlüpfen darf, die typische Bekleidung wird dann aufwendig angepasst. Bauer Mert I. trägt den Hut mit großen Pfauenfedern. Sein Amt sei eine schöne Abwechslung zum Alltag, sagt er. Als Karnevalsbauer ist er eine passende Besetzung, arbeitet er doch auch in der Lebensgemeinschaft Eichhof in der Landwirtschaft. “Hecken schneiden, Rasenmähen, viel draußen”, sagt er. Für die Karnevalsauftritte wird das inklusive Dreigestirn freigestellt.

Denn genauso wie andere Majestäten unterwegs sind, nimmt auch das Eichhofer Dreigestirn Termine wahr. So bringen sie die jecke Freude zu Senioren, anderen Behinderteneinrichtungen oder an Grundschulen. Sie steigen aber auch auf große Karnevalsbühnen und heizen den Feiernden ein. Die eigene Sitzung der Eichhofer an Weiberfastnacht, dem Karnevalsdonnerstag, ist bei anderen Tanzgruppen und Aktiven sehr beliebt. “Die wollen bei uns auftreten, weil die Stimmung so gut ist”, erzählt Eichhof-Geschäftsführer Georg Rothmann.

Auf dem Eichhof leben etwa 150 Menschen, deutlich mehr arbeiten dort. Auch wenn sie kein Karnevalsverein sind, haben sie in ihrer Gemeinde Much mit etwa 15.000 Einwohnern genau diese Rolle. Das Dreigestirn stürmt mit anderen Karnevalisten an Altweiber das Rathaus – damit halten sie dann über die Karnevalstage die Macht in Much. Sie sind vernetzt mit anderen Vereinen, man hilft sich, man kennt sich, man ist Teil des Karnevalsumzugs. Im Wechsel mit anderen Vereinen repräsentiert das Eichhofer Dreigestirn die ganze Gemeinde. So auch dieses Jahr. Bianca, Mert und Prinz Dennis werden den Rosenmontagszug von Much also auf dem wichtigsten Wagen erleben – sie bilden den krönenden Abschluss.

Prinz Dennis findet das aufregend. Er wirkt etwas ruhiger und bedächtiger als viele andere Jecken, schaut beim Empfang beim Bürgermeister erstmal zurückhaltend. “Er redet aber von nichts anderem als vom Prinzsein”, schmunzelt Lebenshof-Mitarbeiterin Sabine Kranzhoff, die das Dreigestirn ehrenamtlich begleitet. “Morgens, wenn er aufsteht, fragt er, was heute für ein Termin ansteht.” Was das Schönste für ihn sei? “Das Feiern”, antwortet er. “Und mein Kostüm.” Freuen sich die Leute, wenn das Dreigestirn kommt? “Das tun sie”, sagt er.

Beim Prinzenfrühstück im Rathaus in Much treffen die drei den Bürgermeister und Abordnungen anderer Mucher Vereine. Bei denen ist der spezielle Narrenruf der Eichhofer bekannt – nicht Helau oder Alaaf, sondern “Eichhof – be happy!” Geschäftsführer Rothmann sagt, dass die Selbstverständlichkeit, mit der die Eichhofer zum Mucher Leben dazugehören, allmählich gewachsen ist. Gelungene Inklusion ist für ihn, wenn Menschen mit Assistenzbedarf wirklich selbst entscheiden können und sich alle auf Augenhöhe begegnen.

Was in Much klappt, ist nicht selbstverständlich. Insgesamt leben in Deutschland rund zehn Millionen Menschen mit einer amtlich anerkannten Behinderung. Ihre Bedürfnisse werden nicht immer gesehen und beachtet. “Das Bedürfnis, einmal Prinz zu sein, ist unabhängig vom Behinderungsgrad”, sagt Rothmann. “Der Karneval ist einfach eine gute Möglichkeit, miteinander in Begegnung zu kommen, da spielt Behinderung keine Rolle. Und aus Begegnungen entstehen Beziehungen.”

Karnevalistische Beziehungen pflegt für die Lebensgemeinschaft Eichhof besonders Prinzenführer Tim Hirschmann, der bei allen Terminen dabei ist. Er war vor zehn Jahren selbst Eichhofer Prinz, ist mit anderen Jecken in der Region vernetzt, moderiert sein Dreigestirn bei den Terminen an und stützt Prinz Dennis, wenn dieser eine helfende Hand braucht. Auf die Nachfrage, ob er und die Eichhofer sich auch wirklich vollumfassend als Teil des Karnevals in der Region fühlen, kommt ein entschiedenes Ja von Tim.

Beim nächsten Termin, dem offiziellen Empfang im Kreishaus der Kreisstadt Siegburg, sind die Eichhofer umgeben von mehr als 80 anderen närrischen Hoheiten. Es ist das größte Tollitätentreffen im Rheinland. Auch das Dreigestirn der Lebensgemeinschaft wird auf der Bühne begrüßt. Sie verschenken ihren sechseckigen Holzorden der diesjährigen Session – und sie bekommen Orden anderer Vereine. Typisch rheinisch fliegen viele Küsschen links und rechts an Wangen vorbei, es wird getanzt und geschunkelt – zu einer Hymne auf die rheinische Hauptstadt Köln mit dem Text “du bist supertolerant, nimmst jeden auf den Arm und an die Hand”.