Die “Höhle der Löwen”, 2001 in Japan eröffnet, feiert bei Vox ihren 10. Geburtstag. Ihr Erfolg besteht allerdings nicht nur in guter Unterhaltung. Zum Start der Jubiläumsstaffel gratulieren auch Wirtschaft und PR-Branche.
“Pitchen” – so lernte es das rasant wachsende Millionenpublikum schnell – ist ein moderneres, dynamisches, ja cooles Wort für ein Verkaufsgespräch. In der “Höhle der Löwen” machen fünf Jungunternehmer pro Folge einer wechselnden Jury ihre Start-ups so schmackhaft, dass ein Investoren-Quintett vor laufenden Kameras Geld für Firmenanteile zusagt. Auch wenn angestellte Ottonormalverbraucher so etwas nie persönlich erleben, ist das eigentlich ein alltäglicher Prozess – nur eben selten auf so offener Bühne.
Erst als Sony Pictures aus der japanischen TV-Show “The Tigers of Money” 2005 das britische “Dragon’s Den” gemacht und weltweit lizenziert hatte, wurde Pitchen zur öffentlichen Veranstaltung. Seither haben Gründerinnen und Gründer aller Konsumschichten und Altersgruppen in 31 Ländern auf fünf Kontinenten um Start-, Arbeits- oder Risikokapital geworben – seit August 2014 auch in Deutschland.
In gut 17.000 Sendeminuten – verteilt auf 144 Folgen plus vier Specials – gab es von A wie ajoofa, Articly und Avoocadoo bis Z wie zzych, zeeds und Zebra Ice bislang 772 Pitches von Produkten und Dienstleistungen – im Werbe-Neudeutsch “Brands” genannt. Wenn das Online-Portal Gruender.de die elf erfolgreichsten davon auflistet, dürfte vor allem der Gewürzhersteller Ankerkraut einer größeren Kundschaft bekannt sein. Doch auch der Erfolg der aktuellen 16. Staffel hängt nicht allein von Markenbekanntheit, Umsatzrendite oder Einschaltquoten ab, die übrigens nur noch bei einem Drittel der Spitzenwerte von 2016 liegen.
Denn hier wird auch ein gesamtgesellschaftlicher Einfluss spürbar. Davon zeugt der Deutsche Mittelstandspreis 2019 ebenso wie das Lob vieler Industrie- und Handelskammern, DHDL habe “dem jeweiligen Standort eines pitchenden Startups Impulse gegeben” – als Schnittstelle zwischen Unterhaltung und Ökonomie, Fiktion und Realität.
Mit letzterer habe die “Höhle der Löwen” zwar nur wenig gemein, sagt Unternehmerin Petra Vorsteher aus Stade. Aber die Sendung habe das Pitchen populärer gemacht und aus der betriebswirtschaftlichen Nische ins Rampenlicht gezogen. Für die 67-Jährige ein Kernanliegen. Ihr halbes Leben hat sie im Silicon Valley gelebt und einst Apps und eCommerce-Pioniere mitentwickelt. Heute berät sie deutsche Start-ups bei der Kapitalisierung.
Im digitalen Zeitalter reiche es nicht mehr, mit guter Vorbereitung, Argumentation oder Optik für Aufmerksamkeit, Interesse und letztlich den Zuschlag zu sorgen, sagt Vorsteher. Neben Selbstbewusstsein, Authentizität, Leidenschaft, Emotionen, Unbeirrbarkeit und dem Glauben an die eigene Vision brauche man dringend zweierlei: “Begeisterung und gutes Storytelling.”
Das ist auch ein Kernthema der Sendung – ob unter dem Namen “Drachenbau” wie in Nigeria, Neuseeland und Pakistan, “Haifischbecken” wie in Kolumbien, Südafrika und Portugal oder “Löwenhöhle” wie in Finnland, Kenia, der Schweiz und hierzulande. Erfolgversprechende Pitches kommen nicht mehr ohne die Erzählung eigener Schlüsselerlebnisse und Schicksalsschläge aus.
Eine Studie der Uni Paderborn und der Fachhochschule Aachen belegt, dass Gründerinnen weiterhin seltener den Zuschlag bekommen als Gründer, während Alter weiter vor Jugend geht – aber nicht vor Schönheit, die statistisch gesehen überzeugender wirkt als ein gutes Angebot. Was womöglich mit dem Preisgericht um die Dauergäste Carsten Maschmeyer, Judith Williams und Ralf Dümmel zu tun hat. Es besteht eben mehrheitlich aus älteren Männern. Oder besser: bestand. Denn dank der 39-jährigen eCommerce-Expertin Tijen Onaran und der ähnlich jungen Unternehmensberaterin Janna Ensthaler ist die Jury 2024 nicht nur jünger und diverser, sondern endlich auch paritätisch besetzt.
Weil die Bühne weiter nur Platz für fünf Sessel bietet, werden darin womöglich ab und zu mehr Frauen als Männer etwas euphorischer als in der rauen Wirklichkeit die Pitches beurteilen. Die PR-Abteilung verspricht jedenfalls Pitches “mit einer der emotionalsten Wendungen aller Zeiten” oder “einem der größten Aufreger ever”.