Morgens, mittags, nachts. Bei Welt-TV und N24, den linearen Sendern der Axel Springer SE, kann die Zuschauerschaft sich mehrmals täglich an „Lost Places“ zurückziehen. So lautet der deutsche Titel der britischen Dokumentarreihe „Abandoned Engineering“. Deren Redaktion präsentiert in mittlerweile 128 Episoden vergessene Wehranlagen, verloren gegebene Industriebauten, verlassene Siedlungen.
„Lost Places“, aufgegebene Orte, sind mittlerweile ein gefragtes Sujet in der Populär- wie auch der Hochkultur. Definiert werden sie zum Beispiel als „Orte und Räume des Verfalls, der Auflösung, des menschlichen Größenwahns, der Tristesse oder gar des Verbrechens.“
Diese Interpretation könnte auch auf die ZDFinfo-Reihe „Lost Places – Geheime Welten“ gemünzt sein. Deren Autoren nutzen das zugkräftige Stichwort, um anhand symbolträchtiger Stätten die Historie des jeweiligen Standorts aufzublättern. Drei neue Folgen führen nach Chile, Spanien und Südafrika, und dort zu architektonischen Hinterlassenschaften tyrannischer Herrschaft.
Politische Gefangene
Tausend Kilometer nördlich der chilenischen Hauptstadt Santiago steht, umgeben von Wüste, die Geisterstadt Chacabuco. Einst errichtet für die Arbeiter des Salpeterabbaus und unter Diktator Augusto Pinochet ein Straflager für run 1.000 politische Gefangene. Roberto Vasquez war einer von ihnen, mit siebzehn Jahren hierher verschleppt, weil er sich in einer linken Schülergruppe engagiert hatte. Er berichtet aus erster Hand über die barbarischen Zustände. Eine Rückblende dokumentiert die Machtergreifung von Pinochet und die nachfolgenden Verbrechen seiner Militärjunta.
Auch in der Hauptstadt gibt es noch Spuren der Willkür, etwa auf dem Gelände eines Krankenhauses. In der heute verfallenden Geburtsstation wurden Müttern die neugeborenen Kinder entrissen und an Adoptiveltern im Ausland verkauft. Den leiblichen Müttern, viele alleinstehend oder Indigene, wurde vorgelogen, ihre Kinder seien gestorben. Zwei betroffene Frauen erzählen am Ort des Geschehens ihre Geschichte. Anschließend veranschaulicht Filmautor Dominic Equizzi am Beispiel einer stillgelegten Textilfabrik die unsoziale, gesamtgesellschaftlich fatale Wirtschaftspolitik Pinochets.

Drei vergessene, dunkle Orte
Ähnliches ereignete sich in Spanien unter dem Militärdiktator Francisco Franco, einem Bundesgenossen Hitlers und Mussolinis. Dem faschistischen Regime nähert sich der Filmautor Lars Hering über drei Orte: einem Gefängnis in Ourense, dem von einem Stausee umgebenen Dorf Granadilla sowie der Erz-Waschanlage „Lavadero Roberto“ an der Küste von Portman.
Die Schauplätze stehen als Symbole für eine dunkle Epoche in Spaniens Geschichte und innerhalb der Gewaltherrschaft Francos für bedeutsame Entwicklungen. Das Gefängnis wurde durch Überfüllung und Vernachlässigung der Insassen nahezu zu einem Vernichtungslager, der Staudamm ist Inbegriff für Francos Größenwahn und brachial durchgesetzte Baumaßnahmen, die Erz-Waschanlage für eine ungehemmte Umweltzerstörung.
Rassismus und Vertreibung
Im dritten Beitrag der Reihe widmet sich Carsten Binsack dem Südafrika der jahrzehntelangen Apartheid. Die „Rassen“ wurden von der Obrigkeit strikt getrennt in Weiße, Schwarze und „Coloured People“. Die Bezeichnung wäre zu übersetzen mit „Farbige“, im Deutschen eine herabsetzende, daher unangemessene Wortwahl. Das englische „Colour“ hingegen gilt als akzeptabel. Die Siedlung Redhill nahe Kapstadt ist ein manifestes Zeugnis der Vertreibung von Schwarzen und „Coloured People“ in Homelands und Townships. Die Zahlen sind erschütternd: Achtzig Prozent der Bevölkerung mussten mit gerade mal dreizehn Prozent der Landfläche auskommen.
In der Diamantenmine Kleinzee wurde die Arbeitskraft der Nicht-Weißen rücksichtslos ausgebeutet. Sie lebten in Baracken, jeweils zwanzig Menschen in einem Schlafsaal mit Etagenbetten. Die weißen Beschäftigten dagegen gönnten sich grün gegürtete Einfamilienhäuser, Tennisplätze, Swimmingpools. Heute ist Kleinzee verlassen. Ein verbeulter Koffer, verstreute Papiere, ein von Wind und Wetter abgeschmirgeltes Schaukelpferd erinnern noch daran, dass hier einmal Menschen lebten.
Phasen der totalitären Herrschaft
Bei Mabopane erhebt sich in der Steppe das imposante Odi-Stadion mit seinen weit in die Höhe ragenden frei schwebenden Zuschauerrängen. Mit solchen Bauten wollte das Apartheidsregime die diskriminierten Bevölkerungskreise gewogen stimmen, während es gleichzeitig auf protestierende Schulkinder schießen ließ.