Ausgerechnet Berufszyniker Jan Böhmermann erweckt ein wohliges Gefühl seiner Kindheit zum Leben: “Hallo Spencer” kehrt als Spielfilm zurück. Über die Tücken der Nostalgie.
Nostalgie ist ein behagliches, aber leicht fadenscheiniges Deckchen. Wer mit der Gegenwart fremdelt oder daran verzweifelt, zieht sie gern bis hoch zum Kinn. Und selbst wenn es durch die Mottenlöcher darin zieht, kühlen die Gedanken an wärmere Zeiten darunter nie ganz ab. Jan Böhmermann jedenfalls wirkt bestens eingemummelt, wenn der hauptberufliche Zyniker die Vergangenheit nach dem wohligen Gefühl seiner norddeutschen Mittelstandskindheit durchwühlt und bei “Hallo Spencer” fündig wird.
Für später Geborene zur Erklärung: So nannte NDR-Redakteur Winfried Debertin vor 35 Jahren eine Fellfigur, die das Ende der sozialliberalen Reformepoche bis in Helmut Kohls geistig-moralische Wende hinein prägen sollte. 275 halbstündige Folgen lang hat der pelzige TV-Moderator mit eigener Show ein drolliges Dutzend Plüschwesen dazu animiert, in ihrem Sperrholzdorf diverse wirtschaftswunderpädagogische Erziehungskonzepte zu unterlaufen.
Es war ein heilloses Durcheinander, das verfressene Drachen, mürrische Monster und singende Zwillinge ab 1979 freitags auf dem Sesamstraßen-Sendeplatz um 18 Uhr veranstalteten. Vor allem aber war es ein Kinderfernsehprogramm, dessen minimalistischer Aufwand für handgefertigte Klappmaulpuppen nicht nur Nostalgikern das Herz aufgehen ließ.
Bildsprache und Kulissen, Tonlage und Szenarien, Ereignisse und Erregungskurven: Spencers gesamte Sendestruktur steckte bis zum Finale am 1. September 2001 so tief in den 1970ern, dass eine Fortsetzung unwahrscheinlicher schien als das Comeback von Stefan Raab.
Wobei… Gut drei Monate, nachdem RTL+ Raab zurück ins Rampenlicht boxte, hat Jan Böhmermann die Helden seiner Fernsehjugend auf Spielfilmlänge runderneuert. Und der Ursprung liegt – klar – im “Neo Magazin Royale”. Inmitten der Pandemie hatte es Spencers Absturz in die Querdenker-Szene gemeldet. Witzig. So witzig, dass Winfried Debertin darüber auf seinem Youtube-Kanal berichtete, woraufhin Böhmermann den Formatschöpfer einlud und eine Kettenreaktion entfesselte, an deren Ende “Hallo Spencer – Der Film”. Am ersten Weihnachtstag läuft er zur abendlichen Primetime bei ZDFneo, in der ZDF-Mediathek ist er bereits zu finden.
Debertins Alter Ego Jakob Sesam (Rainer Bock) hütet darin den Fundus seiner verblichenen Show in einer geschlossenen Dorfdisco. Wie dem realen Vorbild “MicMac Moisburg” – zu Spencers Blütezeit ein überregional bekannter Tanztempel unweit von Böhmermanns Heimatstadt Bremen – droht dem “Coconut Cave” der Abriss. Um zu verhindern, dass Sesams Vermieterin Peggy (Victoria Trauttmansdorff) auf den Ruinen seiner Biografie eine Seniorenresidenz errichtet, schreibt der analoge Träumer einen Blockbuster fürs Puppenensemble.
Zusammen mit seiner alten Liebe Luise (Margarita Broich) sucht er Sponsoren, macht die Rechnung aber ohne den Wirt und Spencer-Rechte-Inhaber Magnus Wilde (Jens Harzer), dem Profit weitaus wichtiger ist als Nostalgie. Arm gegen reich, gut gegen böse, Macht gegen Ohnmacht: So kunterbunt der Puppenstoff äußerlich wirkt, bleibt er innerlich schwarz-weiß mit einer Spur magischem Realismus, der dem Ganzen ein Eigenleben verpasst und die neunzigminütige Achterbahnfahrt – Achtung Spoiler! – aufs Happy End zusteuern lässt.
Bis dahin kriegt Böhmermanns Rasselbande erwachsener Kindsköpfe prominenten Besuch (eigener Cameo-Auftritt inklusive). Olli Dittrich lehnt als Fernsehintendant Jakobs Drehbuch ab. Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow steuert ein Lied bei. Per KI steigt die Stimme des mythischen Märchenonkels Hans Paetsch aus dem Grab. Und wenn der Assistent des ostdeutschen Verlegerpaars Wilde (das kaum zufällig an die Berliner Originale Silke und Holger Friedrich erinnert) Spencers 35-prozentige Bekanntheit mit jener von “Martin Semmelrogge oder Gustav Gans” vergleicht, ist das echt pfiffig.
Nach Büchern aus Böhmermanns Writers Room gibt sich Regisseur Timo Schierhorn also spürbar Mühe, das analoge Sujet rührend, aber nicht rührselig zu aktualisieren. Nur: Geht das überhaupt, ohne es dabei zu verkitschen? Und falls ja: Geht es auch gut? Die Antwort ist ambivalent. So sehr sich der Politsatiriker nämlich anstrengt, von Aids-Toten der frühen Spencer-Zeit über Konsum- oder Kapitalismuskritik bis hin zu Seitenhieben auf Öffentlich-Rechtliche und Streamingportale Realismus einfließen zu lassen, bleibt der gemächliche, mitunter träge Rhythmus oft eskapistisch – was ein Schlaglicht aufs Grundsatzproblem nostalgischer Reanimationen wirft: die Verklärung ihrer Verhältnisse.
Wie in praktisch jeder Fernsehunterhaltung des 20. Jahrhunderts spielten weibliche Figuren – Maja, Pipi, Luzie bestätigen die Regel – schließlich auch in Spencers Studio nur Sidekicks männlicher Hauptcharaktere, und das auch noch gerne mal begriffsstutzig. Anders als im Animationsableger der “Biene Maja” verpasst das ZDF zwar niemandem Modelmaße oder Splitscreens. Dennoch verharrt dieser Film-im-Film-im-Film arg wohlwollend im “Früher-war-alles-besser”-Modus. Aber das war es nicht!
Dank Rainer Bock allerdings und Victoria Trauttmansdorff gerät die “Heute-ist-alles-schlechter”-Version aber dennoch zum warmherzigen Appell ans Kinderprogramm, akustisch und visuell abzurüsten. Wie damals eben, als die Generation X freitags um sechs am Röhrenfernseher saß und dem sagenhaften “Sendung-mit-der-Maus”-Macher Armin Maiwald dabei zuhörte, wie er Spencers Begrüßungsworte sprach: “Hallo liebe Leute, von A bis Z, von 1 bis 100, von Norden bis Süden, von Osten bis Westen, da bin ich wieder, euer lieber guter alter Spencer!” Doch irgendwie schön, die herzerwärmende Klappmaulpuppe wiederzuhören.