Eine Frau wird zu Tode geprügelt, am helllichten Tag, inmitten von Dutzenden Zeugen. Eine davon ist Kommissarin Ellen Lucas, die in ihrem vorletzten Fall viel an sich selbst zweifelt – privat wie beruflich.
“Ich war auch eines von 30 Arschlöchern, die nicht wussten, was sie machen sollen”, beichtet Ellen Lucas ihrem Kollegen. Zu dem Zeitpunkt sind die Ermittlungen zum aktuellen Fall der Nürnberger Kommissarin bereits abgeschlossen: Eine tätliche Auseinandersetzung auf einem Bahnsteig am helllichten Tag, zwei Männer gegen eine Frau, am Ende ist die Frau tot. Dutzende Menschen sahen zu, niemand schritt ein. Auch Lucas nicht, die in einer gerade abfahrenden S-Bahn saß, die Notbremse hätte ziehen können, ziehen müssen. Das jedenfalls wirft sie sich selbst vor in dem Krimi “Kommissarin Lucas – Helden wie wir”, den das ZDF am Samstag von 20.15 bis 21.45 Uhr ausstrahlt.
Es ist der vorletzte Fall der kühlen Ermittlerin, die seit mittlerweile 20 Jahren und 35 Folgen Verbrechen aufklärt: Die Hauptdarstellerin Ulrike Kriener will es so, will zu einem selbstbestimmten Zeitpunkt aufhören. “Finale Entscheidung”, der allerletzte Fall, wird dann am 28. Oktober ausgestrahlt. Aber schon in “Helden wie wir” hadert die Kommissarin mit ihrem Alter und der Frage, ob sie “noch die richtigen Entscheidungen” trifft. Wie eben in jener Zehntelsekunde in der S-Bahn, in der sie falsch reagierte, träge war. Ob sie den Tod von Karin Hofer (Franziska Schlattner) hätte verhindern können?
Der Einzige, dem gegenüber sich die verschlossene Kommissarin öffnet, ist der Polizeipsychologe Niklas Roth (Stefan Kurt). Er ist nicht nur ihr Therapeut: Die beiden nähern sich auch privat an. Und die verwitwete Polizistin wird von der Frage angeweht, ob es vielleicht auch (wieder) etwas neben – oder gar statt – der für sie so zentralen Arbeit geben könnte …
Trotzdem ist sie beim Ermitteln gewohnt hartnäckig, macht Druck, treibt ihr Team zu Tempo und Höchstleistung an – gerade weil sie sich mitschuldig fühlt. Die Öffentlichkeit hat ihr Urteil indes längst gefällt: Karin Hofer musste sterben, weil sie sich schützend vor eine junge Frau stellte, die von Jan Böhm (Rouven Israel) und Florian Walter (Constantin von Jascheroff) zuvor angepöbelt worden war. Die beiden Männer sind die Mörder einer Heldin der Zivilcourage, davon ist ganz Nürnberg überzeugt.
Ellen Lucas ermittelt dennoch so akribisch wie stets. Jan Böhm sitzt bereits in Haft, scheint zu lügen, deckt seinen Kumpel. Der wiederum ist auf der Flucht – und zwar gemeinsam mit der jungen Frau aus der S-Bahn sowie deren Sohn. Wurden sie entführt, sind Mutter und Kind in Gefahr? Ein Katz-und-Maus-Spiel beginnt …
Es ist nicht so sehr die äußere Spannung, die diesen Kriminalfall am Laufen hält, es sind vielmehr die psychologischen, zwischenmenschlichen Prozesse. Einsamkeit, Misstrauen und Verrat sind hier Thema, aber auch Schein und Sein. Und doch ist “Helden wie wir” kein düsteres Stück geworden, schimmert immer irgendwo ein kleiner Funke Hoffnung auf menschliche Annäherung. Dafür steht schon der schöne, sehr filmische, fast ohne Worte funktionierende Beginn des Krimis.
Thomas Berger, Stamm-Autor und -Regisseur der Serie, hat die Story feinfühlig, stimmig und ohne zu viele Erklär-Dialoge geschrieben und in Szene gesetzt. Ellen Lucas erforscht sich diesmal gewissermaßen selbst, steht manches Mal sogar ganz konkret neben sich, versucht wieder und wieder, die Situation in der S-Bahn, aber eben auch sich selbst zu verstehen.
Auch Szenenbild und Kamera sind gelungen. Das eine Gewerk vermittelt Milieus, das andere Stimmungen: Besonders toll das Bild, als Lucas” Kollege Fitz (Sebastian Schwarz) seine Chefin während eines brenzligen Einsatzes fest in den Arm nimmt, um das Geräusch ihres klingelnden Handys zu ersticken. Das zärtlich-absurde Bild spricht beredt von Alter, Nachlässigkeit und Fragilität, aber auch von Schutz und Zusammenhalt. Eine Aufnahme, die hängen bleibt.