Wenn man die Wörter Schuld und Vergeben in eine Suchmaschine eingibt, erhält man im Nu eine Liste mit rund 1,5 Millionen Ergebnissen. Die Treffer reichen von Überschriften wie “Schuld in Bibel und Koran” bis “Vergeben und Verzeihen lernen”. Das Thema damit scheint Menschen offenbar zu bewegen. Zugleich kostet Vergeben aber auch viel Kraft und Überwindung. Das veranschaulicht die Doku “Was Schuld und Vergeben mit der Psyche machen” aus der ZDF-Wissens-Reihe “Terra Xplore” am Sonntag, 25. Februar, um 18.30 Uhr. Anhand eines extremen Beispiels zeigt der Film von Nadja Kölling, warum das Vergebenkönnen so gesund und wichtig ist.
“Erlasst einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden”, heißt es im Lukasevangelium. Und im Vaterunser wird gebetet: “Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern”. Bei leichteren Versäumnissen mag das gelingen. Aber wo ist die Grenze? Können Menschen auch Ungeheuerliches verzeihen – wie den Tod des eigenen Kindes? Auf der Suche nach Antworten trifft sich der Psychologe Leon Windscheid (35) mit Ivonne und Torsten L., die vor laufender Kamera von ihrem Schicksal berichten. Vor acht Jahren hat das Paar seine einzige Tochter Line verloren.
Videos zeigen aufgeweckten Teenager
Windscheid trifft die Eltern an verschiedenen Orten. Da ist die Promenade der Mecklenburgischen Kleinstadt Wolgast – ein besonderer Ort für ihre Tochter. Aber auch im heimischen Wohnzimmer und am liebevoll geschmückten Grab der mit 14 Jahren Verstorbenen sprechen Ivonne und Torsten L. über ihre Erinnerungen. Es ist ihnen anzusehen, wie schwer ihnen das fällt.
Eingespielte Familienvideos zeigen den aufgeweckten Teenager bei Tanz und Musik. Dann starb Line eines Nachts im Elternhaus. Zusammen mit ihrem damals 20-jährigen Freund hatte sie im Jugendzimmer übernachtet – nebenan schliefen ihre Eltern. Line erlag einem tödlichen Drogenmix aus Fentanyl und Ecstasy, den ihr Freund besorgt hatte.
Für die Eltern brach eine Welt zusammen
Mutter Ivonne fand ihre Tochter am nächsten Morgen tot in deren Zimmer – für die Eltern brach die Welt zusammen: “Am Anfang bist du noch betäubt, und dann kommt eine krasse Sehnsucht. Das ist unglaublich schwer”, erinnert sich die Mutter. Beide Eltern sprechen im Film offen über Selbstvorwürfe, aber auch darüber, dass sie trotz allem für Lines früheren Freund keinen Hass empfinden. Dabei hat der junge Mann weder Reue gezeigt noch jemals bei ihnen um Entschuldigung gebeten.
Wie können Menschen mit so schlimmen Erlebnissen trotz großem Schmerz und Trauer vergeben – sich selbst und, wie in Lines Fall, sogar dem Freund? Dazu befragt Windscheid die Soziologin Sonja Fücker von der Universität Bielefeld und die Psychologin Angela Merkl-Maßmann von der Medical School Berlin.
Die Kraft des Vergebens
“Menschen haben starke Gefühle bei Verletzungen; anderseits ist da aber auch der starke Impuls, loslassen zu wollen”, erklärt Soziologin Fücker. Die Psychologie gibt Lines Eltern recht. Studien haben gezeigt, dass Menschen, die nicht vergeben können, schlechter schlafen und von Angespanntheit und Nervosität getrieben sind. Es wurden sogar Zusammenhänge mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen nachgewiesen.
Eineinhalb Jahre nach Lines Tod sind Ivonne und Torsten L. noch einmal Eltern einer Tochter geworden. Am Filmende besuchen sie gemeinsam Lines Grab und finden bewegende Worte über die Kraft des Vergebens. “Es ist wichtig, um weiter zu leben und zu lieben, um frei zu sein”, erklärt Ivonne.