Diese Wunderkammer scheint ein echtes Sammelsurium zu sein: Ein kostbarer Humpen mit Elfenbeinschnitzerei, ein Grafometer aus dem 17. Jahrhundert oder ein präpariertes Krokodil gehören zu der merkwürdigen Sammlung. Mit einer Frühform des Museums, einer Wunderkammer im Stil des 17. Jahrhunderts, empfängt das Wallraf-Richartz-Museum zu einer „Zeitreise durch die Kunst des Ausstellens und Sehens“. Anlässlich des 200. Todesjahres des Kölner Sammlers Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) würdigt das Haus seinen Patron ab Freitag mit einem „Museum der Museen“.
Die Sonderausstellung, die bis zum 9. Februar zu sehen ist, präsentiert anhand von rund 230 Exponaten historische Ausstellungspraktiken sowie moderne Museumskonzepte. Zu sehen sind unter anderem Gemälde, Zeichnungen, Grafiken, Videos, Skulpturen und historische Objekte aus vier Jahrhunderten.
Kunst- und Wunderkammern waren vom 16. bis 18. Jahrhundert in Europa populär. Dort standen Exponate aus der Natur, wissenschaftliche Objekte sowie Kunstgegenstände gleichberechtigt nebeneinander. Dennoch habe es in dem scheinbaren Durcheinander Bezüge gegeben, erklärt Kuratorin Anne Buschhoff. Da korrespondiert etwa ein aus Elfenbein hergestelltes anatomisches Modell einer schwangeren Frau mit einem kleinen weißen Kopf, dessen Gesicht eine junge und eine alte Seite hat. Die Form eines kugeligen Igelfischs ist der eines in Silber gefassten Kokosnuss-Pokals durchaus ähnlich.
Idee der Wunderkammer war es, die Welt abzubilden. Doch das wurde im 17. Jahrhundert mit der Explosion des Wissens zunehmend schwieriger. So entstanden Galerien, die sich ausschließlich der Kunst widmeten. Wie es dort aussah, ist gut belegt. Denn zeitgleich bildete sich das Galeriebild als Genre heraus. So malte zum Beispiel David Teniers um 1660 die Gemäldegalerie Erzherzog Leopold Wilhelms von Österreich. Auffällig ist die sogenannte barocke Hängung der Bilder, die Rahmen an Rahmen die gesamten Wände von oben bis unten bedecken.
Im 18. Jahrhundert begannen zunehmend auch gut situierte Bürger mit dem Sammeln. So legte Ferdinand Franz Wallraf mit seiner Sammlung den Grundstein für die Kölner Museumslandschaft. Die Sammlung des Naturwissenschaftlers, Arztes, Universitätsrektors und Priesters wird in der Ausstellung exemplarisch rekonstruiert. Neben Landschafts-Stichen finden sich naturwissenschaftliche Darstellungen exotischer Tiere oder eine antike Büste.
Zeitgenossen wie Johann Wolfgang von Goethe kritisierten die chaotischen Verhältnisse in Wallrafs Sammlung. Dabei kannte Wallraf bereits die neuen Ausstellungskonzepte der Hängung nach Zeiten und Schulen, wie sie die fortschrittliche Düsseldorfer Gemäldegalerie eingeführt hatte. „Er stand aber noch mit einem Bein in der Kunst- und Wunderkammer“, sagt Buschhoff.
Öffentlich präsentiert wurde Wallrafs Sammlung erst 1827 nach seinem Tod im sogenannten „Wallrafianum“. Die Bilder sind dicht in Reihen übereinander aufgehängt. Ähnlich sieht es auch noch im späteren Wallraf-Richartz-Museum aus. Ein 1887 von Richard Brütt gemalter Museumsraum ist in der Ausstellung in Teilen wiederhergestellt.
Erst Anfang des 20. Jahrhunderts setzte sich die sogenannte progressive Hängung durch. Ein Foto aus den 1920er Jahren zeigt einen Saal mit luftig nebeneinander aufgereihten Bildern. Auch dieser Raum mit Werken von Künstlern wie Auguste Renoir, Vincent van Gogh oder Max Liebermann wurde für die Ausstellung in Teilen wiederhergestellt.
Grundlegend hinterfragt wurde die Ausstellungspraxis dann ab den 1970er Jahren. Das vom Schweizer Künstler Daniel Spoerri und der Kuratorin Marie-Louise von Plessen entwickelte Konzept des „Musée sentimental“ kombiniert Kunst mit Alltagsobjekten. Das Konzept, das sie bereits 1977 in Köln umsetzten, ließ von Plessen für die aktuelle Ausstellung nun noch einmal auferstehen. Sie kreierte ein „Musée sentimental de Wallraf“.
Ein alternatives Ausstellungskonzept mit dem Titel „Rolywholyover: A Circus“ schuf auch John Cage (1912-1992). Dabei wurden Exponate per Zufall ausgewählt. In der Ausstellung ist nun ein Cage-Saal zu sehen, für den 17 Kölner Museen per Zufall ausgewählte Exponate bereitstellten – von mittelalterlichen und Pop Art-Gemälden über Fossilien bis zu historischen Radiogeräten.
Nicht zuletzt wirft die Ausstellung einen Blick auf die aktuelle Entwicklung des Museums, die vor allem durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz fortgeschrieben wird. Der deutsche Medienkünstler Ingo Günther veranschaulicht das unter anderem durch eine Weltkugel, auf der QR-Codes in weltweite Museumssammlungen führen. So erfahre die Kunst- und Wunderkammer digital eine Renaissance, sagt Buschhoff.